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Die Cobol Cowboys auf wichtiger Mission
(Bild: Eileen Hinshaw)
Von Maja Hoock veröffentlicht am
Heute Cobol zu lernen, kommt jungen Informatikstudenten etwa so zeitgemäß vor, wie an Zuses Z3 zu arbeiten. Die Programmierer der Sprache aus den späten 50ern gehen reihenweise in den Ruhestand. Doch sie werden immer noch gebraucht.
Gainesville in Texas kennt man hierzulande wenn überhaupt aus dem Privatfernsehen von Good bye, Deutschland. Ein Hamburger mit Cowboyhut zog in die Kleinstadt bei Dallas, um seiner Vorliebe für den Südstaaten-Lifestyle zu frönen und erlangte C-Prominenz. Nebenbei erfuhr man etwas über das Leben in Gainesville. Es gibt bunte historische Häuschen im Western-Stil, Erdöl und Cowboys. Genau dort lebt Bill Hinshaw. Der Cobol-Berater und -Programmierer hat 2013 ein IT-Unternehmen gegründet, das Cobol-Veteranen in Banken und Firmen vermittelt, denen die Coder ausgehen.
Seine Frau Eileen nannte sie passend zum Setting "Cobol Cowboys": "Es gibt diesen Film mit Clint Eastwood, Space Cowboys", sagt sie. "Darin holt man die alten Raumfahrt-Pioniere zurück, um sie noch einmal auf eine wichtige Mission ins All zu schicken. Ich sagte: Ihr werdet auch gebraucht; wir schicken euch zurück und nennen euch die Cobol Cowboys." Cobol, die einfach zu lesende Common Business Oriented Language, wurde schon 1959 entwickelt. Bis heute wird sie in Verwaltungen, dem Militär und in Banken für Kredite und Einlagen verwendet.
2010 stellte der damals 68-jährige Bill Hinshaw fest, dass sich immer mehr Unternehmen in Richtung neuer Technologien orientierten. Altsysteme wurden zwar noch genutzt, doch die Mitarbeiter schwanden, die sie bedienen konnten. Wegen ihrer schlechten Zukunftsprognosen ist die Sprache nur noch an wenigen Universitäten Teil des Informatikstudiums. Eine Umfrage der Firma Micro Focus hat vor fünf Jahren ergeben, dass Cobol nur noch an 18 Prozent der Unis Thema ist; die Zahl dürfte mittlerweile noch kleiner geworden sein. Die großen New Yorker Banken begannen daher, sich nach Cobol-Programmierern umzusehen und Hinshaw dachte an die vielen Entwickler im Ruhestand, die die Sprache im Schlaf beherrschten.
Mittlerweile arbeiten 225 internationale Cobol Cowboys freiberuflich für seine Agentur; zwei von ihnen kommen aus Deutschland: "Ich wollte etwas für die Cobol-Programmierer tun, die die Industrie von Grund auf aufgebaut haben. Sie besitzen einen riesigen Erfahrungsschatz, sind kreativ und wollen beschäftigt werden", sagt er. Wenn sich ein Auftrag auftut, scannt er seine Datenbank nach einem geeigneten Berater und schlägt ihn dem Kunden vor. Damit hat Hinshaw offenbar einen Nerv getroffen: "In den ersten Monaten hatten wir Anfragen aus 125 Ländern. Wir mussten unsere Website ausbauen, um damit fertig zu werden. Damit habe ich nicht gerechnet."
Der 76-jährige mit den 32 Enkelkindern steht um vier Uhr morgens auf und setzt sich um halb fünf bei seinem ersten Kaffee an den Rechner im Homeoffice. Dort arbeitet er Anfragen von potenziellen Cobol Cowboys ab, führt Telefonkonferenzen mit Kunden und plant seine Einsätze als Berater für Banken und Regierungseinrichtungen: "Wir haben drei Arbeitsstränge", sagt er. "Wir betreuen Firmen, die alte Cobol-Programmierer verloren haben und qualifizierten Ersatz brauchen. Der zweite Part ist Modernisierung. Wir helfen dabei, Altsysteme zu upgraden und die neuen Cobol-Angebote wie die Cloud mit einzubinden. Der dritte Teil ist Reverse-Engineering. Das bedeutet, dass Firmen, die neuere Systeme aufbauen wollen, erst mal die Funktionsweise und Aufgaben des Cobol-Altsystems genau verstehen müssen."
Dafür arbeitet Hinshaw mit einer Firma in Louisiana zusammen, die einen Bauplan der Cobol-Systeme seiner Kunden anfertigt. Er vervollständigt den Blueprint der Architektur und schließt Codelücken darin: "Es ist ein bisschen, wie wenn ein außerirdisches Raumschiff abstürzt und wir ihre Technologie untersuchen, um daraus etwas Neues zu schaffen", sagt er.
Aufzuhören und in den Ruhestand zu gehen, hat Bill Hinshaw mehrmals versucht. Er habe es aber nie länger als ein paar Monate durchgehalten, sagt seine Frau Eileen, die die Kommunikation der Firma leitet. Dafür habe er zu lange und zu gerne Geld verdient. Als Achtjähriger begann er in Indiana, in der Tankstelle seines Vaters auszuhelfen und trug Zeitungen aus - auch vor die Haustür eines Vertreters der Landesregierung. Mit 17 Jahren fragte er den Mann nach einem Verwaltungsjob: "Wir haben erst mal eine halbe Stunde über Basketball geredet. Dann zog er ein paar Seiten aus einer Schublade und sagte: Das sind alle Jobs, die es in der Finanzabteilung gibt. Ich sah IBM, wusste nicht wirklich, was es war, aber habe gehört, dass es ein großes Ding wird. Also habe ich dort angefangen und durfte Lochkarten-Maschinen bedienen. Ich habe mich immer für Computer interessiert und hatte das Glück, schon in einem sehr jungen Alter mit einem großen Teil der IT-Welt in Berührung gekommen zu sein. Timing und Gelegenheit sind alles!"
Das Programmieren brachte er sich in den frühen Sechzigern selbst mit Hilfe von IBM-Handbüchern bei. Dann sollte er von Assembler auf Cobol umstellen: "Ich habe die Sprache geliebt, denn sie ist schön und man kann sie einfach wie Englisch lesen", erinnert er sich. "Es war wie ein Fingerschnipsen, verglichen damit, wie lange es gedauert hat, mir die Assemblersprache selbst aus IBM-Handbüchern beizubringen."
Als einer der Ersten, der Cobol beherrschte, war der Tankwartssohn Hinshaw plötzlich in der IT-Welt gefragt. Mit 21 Jahren arbeitete er als stellvertretender Direktor für Datenverarbeitung für den Staat Indiana, als er von einer Bank abgeworben wurde. Er begann, Cobol-Systeme für Banken im ganzen Land aufzubauen: "1970 wurde ich nach Ohio geschickt, um für eine Bank ihre erste Online-Software für Geldautomaten zu schreiben." Kurze Zeit später baute Hinshaw überall im Land Online-Geldautomaten-Software.
1976 gründete er seine erste eigene Firma. Bilder aus der Zeit gibt es leider nicht: "Wir saßen nur vor unseren Rechnern, tranken Kaffee und rauchten Zigaretten. Niemand wäre auf die Idee gekommen, das festhalten zu wollen." Hinshaw hatte 120 Banken als Kunden und 60 Mitarbeiter, als er diese Firma 1983 an ein börsennotiertes New Yorker Software-Unternehmern verkaufte. In den folgenden 30 Jahren arbeitete der mittlerweile wohlhabende Hinshaw als Berater und entwickelte für Banken und Regierungseinrichtungen Mainframe-Software. Sein letztes Projekt war eine Online-Software für 15 US-Staaten und Kanada zum Verkauf von Jagd- und Angellizenzen: "Nach so vielen Jahren in diesem Projekt war ich damit durch und bereit, etwas Neues zu machen. Das waren die Cobol Cowboys."
Schon lange wird in der Presse über den nahenden Tod von Cobol geschrieben. Dass die 60 Jahre alte Sprache dennoch weiterlebt, liegt an dem Risiko, das mit neuen Systemen einhergeht: "Ich habe gerade Beratungsverträge für Investmentunternehmen in London unterzeichnet, die sich nicht sicher sind, ob sie bei Cobol bleiben oder neue Technologien nutzen sollen", erzählt Hinshaw.
Firmen, Behörden und Banken stellen überall auf der Welt ähnliche Überlegungen an, um die Vor- und Nachteile ihrer Cobol-Systeme besser einschätzen zu können. Auch Marcus Dahlem, Pressesprecher der Deutschen Bank, sagt Golem.de, dass Cobol-Systeme weiterhin auf dem Mainframe im Einsatz seien: "Aber nicht mehr für neu entwickelte Anwendungen. Im Zuge der Digitalisierung und sukzessiven Abschaltung von Altsystemen beziehungsweise Migration in unsere neu entwickelten Architekturen, werden noch Cobol-Programmierer gebraucht, wenn auch weniger."
Die Schweizer Bank Credit Suisse hält ebenfalls erst einmal an Legacy-Systemen fest: "Nach wie vor im Einsatz sind Programmiersprachen wie PL/1", erklärt der Pressesprecher der Bank, Sebastian Kistner. "Der Markt für hervorragende Programmierer mit entsprechenden Kenntnissen ist leider beschränkt. Deswegen bilden wir unsere internen Informatiklehrlinge auf diesen Programmiersprachen aus."
Bei neuen Banken wie N26 sind Sprachen wie PL/1 oder Cobol dagegen kein Thema mehr. Maximilian Weber, Head of System Engineering bei der Online-Bank, erklärt, warum sein Unternehmen gar nicht erst auf die Idee kam, noch einmal ein Cobol-System aufzubauen: "Wir nutzen Java, Python im Data-Bereich und Java Script im Frontend. Wir sehen uns als junge Bank, die neue Wege gehen und das Bankenwesen durchrütteln will."
Die größten Nachteile von Cobol liegen für ihn darin, dass es nicht in demselben Umfang Cloud-Features oder Libraries gibt wie bei anderen Sprachen mit größerer Community: "Es ist mittlerweile ein Nischenprodukt. Ich verstehe aber gleichzeitig auch, warum manche Banken bei ihren Legacy-Systemen bleiben. Cobol ist gut lesbar. Und wenn man von einem Altsystem umsteigt, ist das auch immer mit Sicherheitsrisiken verbunden. Man trägt als Bank Verantwortung für das Geld seiner Kunden. Darum gibt es immer auch die Überlegung, ob man das Legacy-System nicht doch erst mal weiter betreibt. An dieser Stelle fehlen ihnen dann oft die Leute, die es beherrschen."
Obwohl oder gerade weil die Systeme perspektivisch ersetzt werden sollen, gibt es in den nächsten zehn Jahren noch Bedarf an Cobol-Programmierern, wenn auch keinen riesigen. Laut Bill Hinshaw haben sie daher mittelfristig noch gute Aussichten und verdienen 20 Prozent mehr als mit anderen Sprachen. Wirklich unabhängige Statistiken, die das belegen, gibt es dazu allerdings nicht. Ein Blick auf die Stellenbörsen verrät, dass tatsächlich hier und da nach Fachleuten gesucht wird: Die Pensionskasse der US-Eisenbahn suchte kürzlich Programmierer, die ihre Legacy-Systeme modernisieren und dafür sieben Millionen Zeilen Code migrieren.
Auf den Jobportalen suchen aktuell Unternehmen wie die Deutsche Telekom, die HSBC-Bank und diverse Versicherungen Cobol Mainframe-Entwickler. Die Firma iTAc Resources bietet Cobol-Programmierern in Malaysia "Nischen-Karrieren" und schickt sie in Banken. Dazu bildet sie vielversprechende junge Schüler aus, die Baby Dinosaurs genannt werden - angelehnt daran, dass Cobol-Programmierer in der IT Welt gerne mal als Dinosaurier bezeichnet werden.
Und Bill Hinshaw kümmert sich darum, dass seine Berater auch US-Army-Veteranen in der Programmiersprache ausbilden. Er glaubt nicht daran, dass sie wirklich ausstirbt: "Wie Mark Twain gesagt haben soll: 'Die Nachrichten über meinen Tod sind stark übertrieben.' Das könnte man auch über Cobol sagen." Untertrieben sind die Gerüchte über den Tod sicherlich auch nicht. Doch als zweites Standbein könnte eine Cobol-Karriere dem einen oder anderen Programmierer den einen oder anderen Euro extra einbringen.
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