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Remote Recruiting: Personal finden aus der Ferne
(Bild: Pexels)
Von Manuel Heckel veröffentlicht am
Auch in der Coronakrise stellen Firmen ein, müssen aber auf persönliche Treffen verzichten. Stattdessen lernen sie die Bewerber per Videochat kennen. Das hat auch für die Nach-Corona-Zeit Vorteile.
Sogar in der Krise werden Karrieren gemacht. Zwar stellen viele Unternehmen wegen der unklaren Wirtschaftslage weniger Menschen ein, komplett zum Stillstand gekommen ist die Suche nach neuen Mitarbeitern aber nicht.
Beispiel Deutsche Bahn: "Spannende Einblicke in unsere Berufe" will sie gewähren, auch in der Coronakrise, und bietet deswegen Formate wie "Frag die Führungskraft" oder "Azubi-Praxistage" als Videokonferenz an. In der Reihe "I did it my way" erzählen Mitarbeiter von ihrer Arbeit und beantworten Fragen. Zum Beispiel eine junge Bahnmanagerin, 3D-Druck-Expertin, die über die Einsatzmöglichkeiten der additiven Fertigung bei der Deutschen Bahn berichtet.
Auf dem Weg zum Job begegnen sich Bewerber und Personaler heute vor allem auf dem Bildschirm. Die verordneten oder selbst auferlegten Kontaktbeschränkungen stellen viele Recruiting-Prozesse auf den Kopf. Persönliche Bewerbungsgespräche sind passé, Probearbeiten kaum möglich - und ein Gefühl für den passenden Bewerber müssen Personaler jetzt via Videokonferenz gewinnen. Remote Recruiting wird zum Alltag auf dem Weg zum Arbeitsvertrag.
Es ist eine Herausforderung für Unternehmen, das zeigt auch eine aktuelle Umfrage der Jobvermittlungs-Software Jobteaser unter knapp 240 Firmen in Europa, die Golem.de vorab vorlag. 43 Prozent der Personalabteilungen sehen demnach die Umstellung der eigenen Arbeit auf das Homeoffice als größte Herausforderung, 24 Prozent fürchten um die Sichtbarkeit der Firma auf dem Arbeitsmarkt. Auf Platz drei der größten Hindernisse steht mit elf Prozent der komplett digitalisierte Austausch mit Bewerbern.
Remote Recruiting funktioniert
Dabei haben viele Firmen die ersten Schritte der Personalgewinnung in den vergangenen Jahren bereits digitalisiert. Bis zum Vorstellungsgespräch lief es sie gerade in größeren Unternehmen oft schon ohne persönlichen Kontakt. "Aber danach wurde es zunehmend zwischenmenschlich. Das war auch häufig der Wunsch von beiden Seiten", sagt Anastasia Hermann, Head of Research bei der Online-Jobplattform Stepstone.
Das ist derzeit nicht möglich. Die gute Nachricht nach den ersten Wochen der Coronakrise ist aber: Das sogenannte Remote Recruiting, der Einstellungsprozess aus der Ferne, funktioniert häufig besser als gedacht. "Was man früher für nicht denkbar oder machbar gehalten hat, ist nun möglich", sagt Hermann.
Das wichtigste Tool dabei: ausführliche Gespräche via Videokonferenz. Dafür können Standard-Programme wie Skype, Zoom oder Bluejeans zum Einsatz kommen. Golem.de hat kürzlich einige von ihnen getestet. Andere Lösungen lassen sich an sogenannte Bewerbermanagement-Systeme andocken, in denen Daten über die Kandidaten hinterlegt sind.
Ein Programm wie Cammio ermöglicht auch zeitversetzte Interviews, bei denen das Unternehmen die Zeit für die Videoantwort sekundengenau festlegen kann. Gerade in der Digitalwirtschaft gehören heute schon die Kontaktaufnahme über Linkedin oder der erste Austausch via Skype zum Standard.
Es gebe bei Unternehmen und Kandidaten wenig Berührungsängste, berichtet Martina van Hettinga, Managing Partner bei der Personalberatung I-Potentials. Auch in traditionelleren Unternehmen ist das mittlerweile angekommen: Die Bewerbungsgespräche könnten generell "per Telefon, als Video-Anruf oder persönlich stattfinden", schreibt zum Beispiel Siemens auf seiner Karriere-Homepage.
Unabhängig vom verwendeten Videoprogramm empfehlen Experten jedoch, die Bewerber gut auf den Austausch vorzubereiten. "Es hilft, dem Gesprächspartner eine technische Beschreibung zu liefern", sagt Hermann, "so, wie man sonst eine genaue Anfahrtsbeschreibung mitschickt." Die Deutsche Bahn hat ein Video produziert, das Kandidaten den Weg vom Posteingang bis in das Microsoft-Teams-Meeting erklärt.
Auch der Einstieg in das eigentliche Gespräch gestaltet sich anders. Statt des lockeren Plausches über den Anfahrtsweg sollte auch im Videochat ein bisschen Zeit für den Smalltalk eingeplant werden. "Da kann man zu Beginn über das Wetter am jeweiligen Wohnort reden", sagt Sophia Deike, Personalerin bei Eyeo, dem Softwareanbieter hinter Adblock Plus.
Das Digitalunternehmen mit etwa 200 Mitarbeitern hat zwar Büros in Köln und Berlin. Etwa die Hälfte der Belegschaft arbeitet aber permanent remote. Die komplett digitale Personalgewinnung - sogar Arbeitsverträge werden schon seit jeher nicht mehr mit dem Kugelschreiber unterzeichnet - passe gut zur Arbeit bei Eyeo, ist Deike überzeugt. "Bei uns hat die alltägliche Arbeit immer eine digitale Komponente. Es macht Sinn, dass der Recruiting-Prozess das spiegelt."
Sitzt die Technik, lassen sich problemlos mehrere Video-Interviewrunden führen. Bei Eyeo folgen nach dem ersten Gespräch mit der Personalerin häufig ein Fachinterview und dann ein Austausch mit dem potenziellen Team.
Klar ist jedoch: Je analoger die Arbeit in einem Unternehmen, desto wichtiger ist häufig der Eindruck von der tatsächlichen Arbeit. Probearbeiten im Betrieb fällt aufgrund der Pandemie aktuell eher aus, die Fähigkeiten einer Elektrikerin oder eines Mechanikers lassen sich jedoch besser in der Werkstatt als im Video begutachten.
Geht es um klassische Wissensarbeit, können Wissenstest oder Fallstudien dagegen digital bearbeitet werden. Bei Eyeo etwa sind es Coding-Tests für angehende Programmierer oder Geschäftsfeldanalysen für potenzielle Vertriebler, die meist innerhalb einer Woche von den Bewerbern bearbeitet werden müssen. Siemens spricht von möglichen Onlinetests als Teil einer Bewerbung.
Mehr Skepsis bei Führungspositionen
Sorgen, dass sich potenzielle Angestellte beim Austausch aus der Ferne zu sehr verstellen, hat Eyeo-Recruiterin Deike nicht. "Zum Recruiting gehört immer ein gewisser Grad an Selbstinszenierung", sagt sie, "egal ob im Büro oder vor der Kamera." In der komplett auf Remote-Arbeit ausgelegten Firma ist es selbstverständlich, dass selbst hochrangige Führungskräfte den komplett digitalisierten Prozess durchlaufen.
Hierbei tun sich viele Unternehmen noch deutlich schwerer. Je höher eine Position in der Firmenhierarchie angesiedelt ist, desto vorsichtiger werden viele Unternehmen. Geht es um Abteilungsleiter oder Vorstandsposten, rücken neben der fachlichen Kompetenz schnell Managementfähigkeiten und Soft Skills in den Vordergrund. "Diese Einschätzung nehmen viele Menschen lieber persönlich und live vor, da tut man sich mit der räumlichen Distanz schwer", sagt Personalberaterin van Hettinga.
Bei den hochrangigen Stellen, die I-Potentials aktuell vermittelt, erlebt sie daher unterschiedliche Strategien. Einige Kunden seien bereits in den Verhandlungen weit fortgeschritten, zögerten aber mit dem Abschluss: "Die sagen: 'Wir wollen die finalen Kandidaten in jedem Fall persönlich treffen, selbst wenn wir drei Meter auseinander sitzen und Plexiglas zwischen uns aufbauen'", sagt van Hettinga. Andere Unternehmen machten bei der Führungskräftesuche in Coronazeiten dagegen digital Nägel mit Köpfen: "Wir haben auch Kunden, die bereit sind, Angebote auszusprechen, obwohl sie die Kandidaten nur virtuell kennen."
Corona geht, Remote Recruiting bleibt
Die Beispiele aus der Praxis zeigen: Die neue Art der Einstellung erfordert ein Umdenken bei Bewerbern und Personalabteilungen. Doch die Erfahrungen aus der aktuellen Krisenzeit könnten dauerhaft die Abläufe im Recruiting verändern: "Wenn das gut läuft, werden viele Unternehmen nach der Krise daran festhalten", ist Stepstone-Forscherin Hermann überzeugt. "So können Kosten und Aufwand deutlich reduziert werden."
Im normalen Prozedere mussten sich Bewerber häufig einen Tag freinehmen, um zum Gespräch anzureisen. Unternehmen wählten bereits in der ersten Runde strenger nach Noten und Dokumenten aus, um nicht zu viele Reisekosten erstatten zu müssen. Der verstärkte Einsatz von digitalen Instrumenten ermögliche es Firmen, "mehr Kandidaten zu Gesicht zu bekommen", sagt Hermann.
Sollte zudem die generelle Bereitschaft steigen, Homeoffice und Remote-Arbeit zu ermöglichen, locken noch weitere Chancen. "Wir können so die interviewen, die ihr Zuhause sonst schwerer verlassen können", sagt Eyeo-Personalerin Deike. Dazu zählen Fachkräfte in entfernten Ländern, aber auch Frauen und Männer, die beispielsweise in die Kinderbetreuung eingebunden sind. "Das ist eine gute Möglichkeit, die Diversität zu erhöhen."
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