KI-Angst: CEOs nutzen sie zur Personalsteuerung

Drohende Jobverluste durch KI? Für viele CEOs sind solche Warnungen willkommen, denn sie sind ein wirksames Mittel, um Beschäftigte gefügig zu halten.
CEOs großer Unternehmen warnen vor massiven Jobverlusten durch KI.
Aussagen von Ford, Amazon, JPMorgan, Fiverr und anderen zeigen: die Drohkulisse wird konkret.
Arbeitgeber fordern vor allem in den USA immer häufiger extreme Arbeitszeiten und die Abkehr von Work-Life-Balance wie Homeoffice-Optionen.
Kritiker sehen in den KI-Warnungen eine Taktik, um Angestellte gefügig zu machen.
Gegenstimmen aus der Branche weisen auf Grenzen der KI und mögliche neue Jobs hin.
Während Führungskräfte früher zurückhaltend über die Auswirkungen neuer Technologien auf Arbeitsplätze sprachen, geben sie heute konkrete Prognosen ab. Diese Offenheit hat jedoch einen strategischen Hintergrund. Denn wiederkehrende KI-Schreckensszenarien dienen nicht nur als Zukunftsprognosen, sondern sind auch eine moderne Variante einer bewährten Strategie: Arbeitnehmern aus Angst vor Jobverlust mehr Leistung abzuverlangen.
CEOs prognostizieren massive Jobverluste
Folgend einige Beispiele aus dem Wall Street Journal (Paywall) von Führungskräften großer Unternehmen, die zunehmend offen über die potenziellen Auswirkungen von KI auf die Beschäftigungszahlen sprechen:
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Ford-Motor-Company-CEO Jim Farley erklärte, dass KI "buchstäblich die Hälfte aller Angestellten in den USA ersetzen" werde.
- Marianne Lake, CEO des Bereichs Konsumkredite bei JPMorgan Chase, erwartet in den kommenden Jahren einen Rückgang der Angestelltenzahlen um zehn Prozent, da das Unternehmen den Einsatz neuer KI-Tools plant.
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Amazon-Chef Andy Jassy teilte seinen Mitarbeitern mit, dass KI "zweifellos" einige ihrer Jobs eliminieren werde, was voraussichtlich die gesamte Unternehmensbelegschaft reduzieren wird. Er deutete an, dass dies "in den nächsten Jahren" geschehen werde und dass viele der benötigten KI-Agenten noch nicht gebaut seien, aber "schnell kommen" würden.
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Anthropic-CEO Dario Amodei prognostiziert, dass KI die Hälfte aller Einstiegs-White-Collar-Jobs in den nächsten fünf Jahren auslöschen könnte. Er fordert Führungskräfte und die US-Regierung auf, die Situation nicht länger schönzureden, und rechnet mit einer Steigerung der Arbeitslosenquote in den USA um zehn bis zwanzig Prozent.
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Micha Kaufmann, CEO des Freelancer-Marktplatzes Fiverr, schrieb in einem internen Memo, dass "es keine Rolle spielt, ob Sie Programmierer, Designer, Produktmanager, Datenwissenschaftler, Anwalt, Kundendienstmitarbeiter, Verkäufer oder Finanzfachmann sind – die KI kommt auf Sie zu".
- James Reinhart, CEO der Online-Wiederverkaufsplattform Thredup, glaubt, dass "viel mehr Arbeitsplätze verloren gehen werden, als der Durchschnittsbürger denkt".
Diese Prognosen beeinflussen auch die Einstellungspolitik: Shopify-Chef Tobi Lütke erklärte seinen Mitarbeitern, dass das Unternehmen Neueinstellungen nur dann vornehmen werde, wenn nachgewiesen sei, dass eine KI die jeweilige Aufgabe nicht übernehmen könne.
Strategie der gezielten Verunsicherung
Allison Morrow von CNN sieht in den KI-Warnungen eine moderne Variante einer alten Strategie: Mitarbeiter sollen aus Angst vor dem Jobverlust zur Arbeit angehalten werden. Sie vermutet, dass Aussagen wie die von Dario Amodei dazu dienen könnten, die eigene Kerntechnologie als "unvermeidlich und beängstigend mächtig" darzustellen. Diejenigen, die solche Ängste schüren, stehen oft selbst am meisten von der Weiterentwicklung der Technologie zu profitieren.
Bemerkenswert ist, dass Andy Jassy in seiner Notiz an die Mitarbeiter nicht erwähnte, dass KI seine eigene Arbeit oder die seiner Führungskräfte gefährden würde. Die Warnungen scheinen sich auf Jobs zu konzentrieren, bei denen KI derzeit schlecht ist, wie die physische Mobilisierung von Dingen. KI ist hingegen gut darin, Memos zu erstellen, Informationen zu synthetisieren und strategische Rätsel zu lösen.
Die im KI-Diskurs verwendeten Begriffe wie Flexibilität und Effizienz sind dabei nicht neu, sondern wurden bereits in den letzten 30 Jahren bei jeder Arbeitsplatzinnovation verwendet – von E-Mail über Slack bis hin zu Teams und Zoom. Diese Tools haben uns jedoch nicht von lästigen Aufgaben befreit, sondern in einen künstlich verlängerten Arbeitstag verwickelt, wie ein Microsoft-Bericht zeigt.
Demnach wird der typische Büroangestellte im Jahr 2025 immer häufiger alle zwei Minuten durch ein Meeting, eine E-Mail oder eine Chat-Benachrichtigung unterbrochen – insgesamt 275 Benachrichtigungen pro Tag. Der durchschnittliche Mitarbeiter erhält 117 E-Mails täglich und sendete oder empfing 58 Sofortnachrichten außerhalb der Kernarbeitszeiten, was einem Anstieg von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht – von Arbeitserleichterung keine Spur.
Workshops zu KI:
Verschärfte Arbeitsmarktbedingungen
Wie das Wall Street Journal berichtet (Paywall), passen Unternehmen in den USA infolge des Personalabbaus und der veränderten Arbeitsmarktlage ihre Erwartungen an die Mitarbeiter drastisch an. Arbeitgeber verzichten zunehmend auf Optionen für flexibles Arbeiten, Homeoffice und andere Vergünstigungen in ihren Stellenanzeigen.
Stattdessen werden klare Forderungen nach der Bereitschaft zu langen Arbeitszeiten in einem herausfordernden Geschäftsumfeld formuliert. Shopify sucht Produktmanager, die "mit dem unerbittlichen Tempo" des Geschäftsumfeldes mithalten können. Der Dienstleister Solace schreibt offen: "Wenn Sie nach Work-Life-Balance suchen, sind Sie hier falsch."
Beim Softwareunternehmen Rilla sollen sich Interessenten "bitte nicht bewerben", wenn sie nicht 70 Stunden pro Woche arbeiten wollen. Das Unternehmen gibt an, in der Regel 60 bis 80 Stunden pro Woche zu arbeiten, und fordert Bewerber auf, sich nicht selbst zu belügen, wenn sie mit dieser Kultur nicht einverstanden seien.
Google-Mitbegründer Sergey Brin erklärte seinen Mitarbeitern, dass er 60 Stunden Arbeitszeit pro Woche als Optimum für Produktivität ansehe. Daten von Microsoft zeigen, dass im Jahr 2025 mehr Menschen an Besprechungen nach 20 Uhr teilnahmen als im selben Vorjahreszeitraum. McKinsey macht Bewerbern deutlich, dass Angestellte an Besprechungen außerhalb der üblichen Geschäftszeiten teilnehmen oder Projekte mit kurzer oder ohne Vorankündigung übernehmen müssen.
Laut dem WSJ können Arbeitgeber sich auf diese Weise präsentieren, weil das Einstellungstempo sich verlangsamt hat und die Konkurrenz durch entlassene Arbeitnehmer groß ist. Die Personalvermittlerin Lori Reed stellt fest, dass die Unternehmen wieder die Kontrolle hätten und "die Grenzen dessen austesten, was sie von ihren Mitarbeitern verlangen können".
Gegenstimmen aus der Branche
Nicht alle Tech-CEOs teilen die apokalyptische Sichtweise. Nvidia-Chef Jensen Huang und Google-Deepmind-Chef Demis Hassabis, beides große Akteure im KI-Bereich, haben Amodeis dramatische Einschätzung zurückgewiesen.
OpenAI-COO Brad Lightcap glaubt nicht an schnelle und umfassende Auswirkungen von KI und sieht zum Beispiel keine Anzeichen dafür, dass Berufseinsteiger oder Menschen in Einstiegsjobs pauschal durch KI ersetzt werden. Er räumt zwar Arbeitsplatzverluste ein, begründet dies jedoch mit den Veränderungen, die jede neue Technologie für den Arbeitsmarkt mit sich brächte.
Pascal Desroches, Finanzvorstand von AT&T, beschreibt, dass durch neue Technologien häufig neue Arbeitsplätze entstünden. IBM-Chef Arvind Krishna berichtet, dass das Unternehmen KI einsetze, um die Arbeit mehrerer Hundert Mitarbeiter in der Personalabteilung zu ersetzen, dafür aber an anderer Stelle mehr Programmierer und Vertriebsmitarbeiter eingestellt worden seien.
Kritiker weisen darauf hin, dass die Idee, generative KI werde entweder eine Apokalypse oder ein Paradies einläuten, in den Bereich der Science-Fiction gehöre. Große Sprachmodelle, die fortgeschrittene KI-Chatbots antreiben, halluzinieren mehr, je größer sie werden, und ihnen gehen zunehmend menschenwürdige Daten aus, die Ingenieure zum Training der Modelle benötigen. Zudem ist KI immer noch schlecht in der physischen Manipulation von Dingen.
Auch wenn die Technologie weitreichende Implikationen für Arbeit und Gesellschaft birgt, sollten Pauschalaussagen und potenzielle Beeinflussungsversuche mit Vorsicht aufgenommen werden.
Bild: Freepik.com
Frequently Asked Questions (FAQ):
Warum warnen CEOs vor Jobverlusten durch KI?
Viele Führungskräfte prognostizieren, dass Künstliche Intelligenz Millionen Arbeitsplätze ersetzen könnte. Kritiker sehen darin jedoch auch eine Strategie: Mit solchen Warnungen lassen sich Beschäftigte verunsichern und leichter zu höherer Leistungsbereitschaft motivieren.
Sind diese Prognosen realistisch?
Einige Experten und Brancheninsider halten die Szenarien für überzogen. Zwar kann KI bestimmte Aufgaben automatisieren, doch gleichzeitig entstehen neue Berufsbilder und Tätigkeiten. Auch die Grenzen der Technologie sind derzeit noch deutlich.
Wie reagieren Unternehmen auf die KI-Entwicklung?
In den USA passen viele Firmen ihre Arbeitskultur an: weniger Homeoffice, längere Arbeitszeiten, härtere Anforderungen. Stellenanzeigen betonen zunehmend Flexibilität und Einsatzbereitschaft.
Welche Jobs sind besonders gefährdet?
Vor allem einfache Bürotätigkeiten könnten künftig stärker automatisiert werden. Allerdings ist KI derzeit noch schlecht in physischen Aufgaben oder komplexen strategischen Entscheidungen.
Was können Arbeitnehmer tun?
Experten raten, die eigenen Fähigkeiten kontinuierlich auszubauen – besonders in Bereichen, in denen KI schlecht ist, etwa Kreativität, soziale Kompetenzen und strategisches Denken.
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