Hiring nach US-Vorgaben: Wie Washington deutsche Konzerne zur Aufgabe ihrer Diversity-Programme drängt

Technologische und wirtschaftliche Verflechtungen ermöglichen es der US-Regierung, europäische Konzerne zur Anpassung an US-Politikziele zu zwingen. Die Reaktionen deutscher Unternehmen auf den Anti-DEI-Kurs zeigen die Grenzen europäischer Wirtschaftssouveränität.
Die US-Regierung drängt deutsche Konzerne, ihre Diversity-, Equity- und Inclusion-Programme aufzugeben – mit dem Hebel lukrativer Regierungsaufträge.
SAP, Deutsche Telekom und Volkswagen haben ihre DEI-Maßnahmen in den USA bereits reduziert, um Marktzugang und Übernahmen nicht zu gefährden.
Technologische Abhängigkeiten von US-Plattformen und Cloud-Diensten verstärken den politischen Einfluss Washingtons auf europäische Unternehmen.
Deutsche Wirtschaftsverbände und zahlreiche Konzerne reagieren mit Widerstand und betonen die Bedeutung von Vielfalt und europäischer Souveränität.
Die Trump-Administration weitet ihren Kampf gegen Diversity-, Equity- und Inclusion-Programme (DEI) systematisch auf europäische Unternehmen aus. Deutsche Konzerne stehen vor der Entscheidung zwischen wirtschaftlichen Interessen und unternehmerischer Selbstbestimmung. Der Konflikt wirft grundlegende Fragen zur europäischen Wirtschaftssouveränität auf.
Direkte Einflussnahme auf deutsche Wirtschaft
US-Botschaften verschickten Anfang 2025 Briefe an ausländische Auftragnehmer mit der expliziten Aufforderung, ihre Diversity-Programme zu beenden. Wer sich weigere, riskiere den Ausschluss von lukrativen Regierungsaufträgen. Diese Form der extraterritorialen Rechtsausübung stellt einen beispiellosen Eingriff in die Geschäftspolitik europäischer Unternehmen dar.
Die Auswirkungen zeigen sich bereits in amerikanischen Unternehmen: Eine Studie von The Conference Board dokumentiert einen Rückgang von 68 Prozent bei der Verwendung von DEI-Begriffen in Geschäftsberichten der größten US-Konzerne. Etwa 20 Prozent der amerikanischen Unternehmen haben ihre DEI-Programme seit Trumps Wiederwahl vollständig eingestellt.
Deutsche Konzerne zwischen Abhängigkeit und Widerstand
SAP reagierte als erstes deutsches Unternehmen auf den amerikanischen Druck. Der Softwarekonzern, der ein Drittel seines Umsatzes in den USA erwirtschaftet und dort 17.000 Angestellte beschäftigt, kündigte die Aufgabe seiner 40-Prozent-Frauenquote an. In den USA würden keine geschlechtsspezifischen Führungsquoten mehr angewendet, die Abteilung für Diversity und Inklusion verliere ihre Eigenständigkeit.
Deutsche Telekom passte ihre US-Tochter T-Mobile ebenfalls den neuen Vorgaben an. Das Unternehmen verwarf spezifische Diversitätsziele und bestätigte "kleinere Anpassungen" im Lieferantenauswahlprozess. Bezeichnend: Einen Tag nach der entsprechenden Mitteilung an die Regulierungsbehörde FCC genehmigte diese die von T-Mobile angestrebte Übernahme des Kabelnetzbetreibers Lumos.
Volkswagen zog seine Diversity-Bemühungen in den USA zurück, um seine Geschäftstätigkeit nicht zu gefährden. Der Automobilkonzern demonstriert damit exemplarisch die Abhängigkeit deutscher Industrieunternehmen vom amerikanischen Markt.
Technologische Abhängigkeiten als Hebel
Die Reaktionen deutscher Unternehmen verdeutlichen ein strukturelles Problem: Die technologische und wirtschaftliche Verflechtung mit den USA schafft asymmetrische Machtverhältnisse. Besonders Technologieunternehmen wie SAP sind durch ihre Abhängigkeit von amerikanischen Cloudinfrastrukturen, Softwarelizenzen und Marktpositionen verletzlich.
Diese Abhängigkeiten gehen über direkte Geschäftsbeziehungen hinaus. Deutsche Unternehmen nutzen amerikanische Technologieplattformen, sind auf US-Investoren angewiesen und operieren in einem digitalisierten Umfeld, das maßgeblich von amerikanischen Standards geprägt ist. Der politische Druck auf DEI-Programme wird damit zum Testfall für die Durchsetzungsfähigkeit amerikanischer Interessen in europäischen Konzernen.
Unsere Coachings:
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) positioniert sich klar gegen die amerikanischen Forderungen. "Der BDI betrachtet die Bestrebungen der US-Regierung, politische Vorstellungen im Hinblick auf unternehmerische Leitlinien über die eigenen Landesgrenzen hinaus durchzusetzen, mit großer Skepsis", teilte der Verband mit. Deutsche Firmen sollten sich an ihre Prinzipien halten und die Gesetze der Länder befolgen, in denen sie tätig sind – nicht die politischen Vorgaben fremder Regierungen.
Eine Blitzumfrage der Charta der Vielfalt unter 100 deutschen Unternehmen ergab: 90 Prozent der Befragten wollen ihre DEI-Programme unverändert fortsetzen. Mehr als 800 Unternehmen signalisierten sogar ihre Absicht, die Charta zu unterzeichnen – ein Rekordwert. Geschäftsführer Cawa Younosi beobachtet eine Jetzt-erst-recht-Haltung in Deutschland.
Rechtliche Konflikte zwischen Systemen
Deutsche Großunternehmen navigieren zwischen widersprüchlichen rechtlichen Anforderungen. Das deutsche Aktiengesetz verlangt Geschlechterquoten in Aufsichtsräten, europäische Regulierungen fördern Diversity-Maßnahmen aktiv. Gleichzeitig drohen amerikanische Behörden mit dem Ausschluss von Regierungsaufträgen bei Nichteinhaltung ihrer Anti-DEI-Politik.
BMW und Henkel beobachten die Situation nach eigenen Angaben genau, haben aber noch keine Entscheidungen getroffen. Siemens erklärte, es gebe derzeit "keinen Grund, unsere Anstrengungen für diverse Teams und ein inklusives Arbeitsumfeld aufgrund der jüngsten Entwicklungen zu ändern".
Messbare Konsequenzen der Rückzüge
Unternehmen, die ihre DEI-Programme zurückgefahren haben, berichten von konkreten negativen Auswirkungen. Eine Umfrage unter 965 amerikanischen Firmen zeigte: 47 Prozent der Unternehmen, die ihre Programme beendeten, verzeichneten einen Rückgang der Mitarbeitermotivation. 36 Prozent beklagten Schwierigkeiten beim Halten diverser Talente, 35 Prozent bei deren Gewinnung.
Target, einer der ersten amerikanischen Konzerne, der seine DEI-Initiativen strich, meldete fünf Millionen weniger Kundenbesuche. CEO Brian Cornell bestätigte, dass die Verkaufsrückgänge teilweise auf die Reaktionen zu den DEI-Änderungen zurückzuführen seien. Im Gegensatz dazu verzeichnete Costco, das an seinen Diversity-Programmen festhält, 7,7 Millionen zusätzliche Besuche.
Europäische Souveränität auf dem Prüfstand
Experten warnen vor vorschnellen Entscheidungen. Unternehmen, die ihre Positionen zu gesellschaftlichen Themen schnell ändern, riskieren, als unglaubwürdig wahrgenommen zu werden. Zudem belegen Studien, dass diverse Unternehmen bei der Profitabilität um 36 Prozent besser abschneiden als ihre weniger vielfältigen Konkurrenten.
Die Frage nach der wirtschaftlichen Souveränität Europas stellt sich damit nicht nur bei Technologiestandards oder Energieversorgung, sondern auch bei der Unternehmenskultur. Deutsche Konzerne müssen entscheiden, ob sie sich von politischen Konjunkturen in Washington leiten lassen oder europäische Werte und Rechtsnormen verteidigen.
Bild: Pexels.com
Frequently Asked Questions (FAQ):
Wie übt die US-Regierung Druck auf deutsche Unternehmen aus?
Über direkte Schreiben an Auftragnehmer und die Drohung, Firmen ohne Anpassung von US-Regierungsaufträgen auszuschließen.
Welche deutschen Unternehmen haben ihre Diversity-Programme bereits angepasst?
SAP, Deutsche Telekom (T-Mobile US) und Volkswagen reduzierten ihre DEI-Initiativen in den USA, um Geschäfte und Übernahmen nicht zu gefährden.
Warum ist der Konflikt für deutsche Firmen so relevant?
Weil viele Konzerne stark vom US-Markt abhängig sind – sowohl beim Umsatz als auch bei Technologieinfrastrukturen und Investoren.
Welche Folgen haben Unternehmen in den USA nach Abbau ihrer DEI-Programme erlebt?
Rückgang der Mitarbeitermotivation, Probleme beim Halten und Gewinnen diverser Talente sowie messbare Einbußen bei Kundenbesuchen.
Wie positionieren sich deutsche Verbände und andere Konzerne?
Der BDI und viele Unternehmen bekennen sich klar zu Diversity und rechtlichen Vorgaben in Europa. Eine Umfrage zeigt, dass 90 Prozent der Firmen ihre Programme unverändert fortführen wollen.
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