Glassdoor-Bewertungen sinken nach Entlassungswellen: Wie Unternehmen ihre Ratings manipulieren
Nach den Entlassungen in der Tech-Branche manipulieren Unternehmen offenbar ihre abgerutschten Glassdoor-Bewertungen. Dabei kommen Strategien zum Einsatz, die das Vertrauen der Nutzer in Bewertungsplattformen auf die Probe stellen.
Die Vertrauenswürdigkeit der Arbeitgeberbewertungsplattform Glassdoor steht aufgrund einer verdächtigen Entwicklung im Bewertungsmanagement infrage. Ein Softwareingenieur eines nicht genannten Unternehmens, das im Dezember 2022 30 Prozent seiner Belegschaft entließ, berichtete dem Pragmatic Engineer, dass sein Arbeitgeber begonnen habe, negative Glassdoor-Bewertungen zu löschen, nachdem die Bewertung des Unternehmens drastisch auf 2,3 von 5 möglichen Sternen gefallen war. Der Ingenieur vermutete, dass sein Unternehmen kein Einzelfall war, das auf solche Strategien zurückgriff, um sich vor negativer Publicity zu schützen.
Plattformen wie Glassdoor und Kununu, auf denen Arbeitnehmer ihre Unternehmen bewerten und entscheidungsrelevante Vor- sowie Nachteile angeben können, gewinnen immer mehr an Bedeutung. Zum einen fungieren sie als Tools für Arbeitssuchende, um einen tieferen Einblick in potenzielle Arbeitgeber zu erlangen. Auf der anderen Seite sind sie ein Darstellungsinstrument für imagebewusste Unternehmen. Laut der größten deutschen Bewertungsplattform Kununu kam eine Trendence-Studie zu dem Ergebnis, dass knapp drei Viertel aller Arbeitssuchenden Ratingplattformen nutzen, um sich über Firmen zu informieren. Fast 87 Prozent der Nutzer schauen sich dabei den Gesamtscore des Arbeitgebers an und sehen von einer Bewerbung ab, wenn dieser unter 2,5 Sternen liegt.
Es ist naheliegend, dass Unternehmen, die sich in einer Entlassungsphase befinden, häufig einen starken Rückgang ihrer Scores verzeichnen. Nach Aussagen von CTOs und Personalverantwortlichen aus fünf im Bericht ungenannten Unternehmen scheint es gängige Praxis zu sein, bei auffällig niedrigen Mitarbeiterbewertungen Aufwertungsstrategien zu verfolgen – was zu einem verzerrten Unternehmensbild auf den Plattformen führt.
Jagd auf negatives Feedback
Die aggressivste Art, den Firmenscore aufzuwerten, ist die Löschung von negativen Bewertungen. Das Entfernen von Beiträgen geschieht Glassdoors eigenen Aussagen zufolge nur bei “diffamierenden, verleumderischen, betrügerischen oder wissentlich irreführenden” Inhalten sowie Spam. Personalverantwortliche von Unternehmen, die von verbesserungswürdigen Scores betroffen sind, flaggen (markieren) dem Bericht zufolge Bewertungen mit einem oder zwei Sternen, um sie einer dedizierten Überprüfung durch Glassdoor-Mitarbeiter zu unterziehen. Dabei ist einer von drei Versuchen, einen negativen Beitrag zu löschen, erfolgreich. Ein HR-Manager erklärte, dass der eigenen Erfahrung nach tatsächlich auch nur solche Beiträge gelöscht würden, die gegen die Nutzungsbedingungen der Plattform verstießen.
Ebenfalls problematisch ist die Selektivität der Plattform beim Vorgehen gegen unerwünschte Posts: Ein Personaler berichtet, dass Glassdoor klar richtlinienverletzende Bewertungen erst dann bearbeitet habe, als das Unternehmen zahlender Kunde geworden sei. Auf Nachfrage erklärte Glassdoor, dass auch nicht-zahlende Arbeitgeber Bewertungen flaggen könnten, machte dabei aber keine Aussage über die Prioritätensetzung.
Künstliche Vermehrung positiver Beiträge
Ein weiteres Mittel, die Firmenbewertung und damit ein Teil des Images zu sanieren, ist der Ausgleich negativer Gesamtscores durch die Platzierung eines positiven Gegengewichts. Eine Taktik dabei ist, Newcomer im Unternehmen zu "Feedback” anzureizen – Unternehmenseinsteiger sind weitaus weniger dazu geneigt, schlechte Bewertungen über ihren neuen Arbeitgeber zu schreiben. Eine weitere Methode ist die Durchführung von speziellen Events, in denen Mitarbeiter dazu aufgerufen werden, Feedback zur Firma zu geben, was in einer kooperativen Atmosphäre ebenfalls zu wohlwollenderen Resultaten verhilft.
Als Beispiel für ein solches Vorgehen dient der Cybersicherheits- und Verwaltungsdienstleister Trustwave, der zwei Jahre nach unternehmensweiten Restrukturierungsmaßnahmen (inklusive hoher Entlassungszahlen) zu Anfang der Pandemiezeit eine Score-Aufwertung von 3,5 auf 4,5 Sterne verzeichnete. Die Zahlen belegen den Erfolg der intensiven Sanierungsbemühungen: Hatten vor den Maßnahmen von insgesamt 81 Bewertungen nur 26 fünf Sterne, waren zwei Jahre später von insgesamt 143 bereits 120 Fünf-Sterne-Bewertungen.
Wo das firmenseitig angetriebene Engagement der Mitarbeiter und die Beseitigung unerwünschter Kritik nicht ausreichen, wird offenbar mit zweifelhaften Mitteln nachgeholfen, denn einige der Rezensionen des Unternehmens sind dem Bericht zufolge unmodifizierte Kopien bereits vorhandener Bewertungen. Obwohl diese gegen die Richtlinien der Plattform verstoßen, wurden sie vermutlich nicht vom automatischen Prüfprozess erfasst und werden, solange das Unternehmen nicht auf die Duplikate hinweist, nicht weiter geprüft. Mit dem Verbleib auf der Plattform bleibt auch ihr Einfluss auf die Bewertung erhalten.
Nutzer sind sich der Nachteile bewusst
All das trägt zur Manipulation des Gesamtbildes bei, das ein Unternehmen auf Glassdoor präsentiert. Die Nutzer der Bewertungsportale scheinen sich der potenziell orchestrierten Unternehmensbilder bewusst zu sein. So ist ein übermäßig positives Gesamtergebnis einer Softgarden-Umfrage nach unglaubwürdig, schreibt der Südkurier. Demnach finden die meisten Befragten Unternehmen mit mittleren Bewertungen besonders attraktiv, wobei ein Empfehlungsgrad von 75 Prozent als realistisch und positiv bewertet wird, während ein Wert von über 80 Prozent eher Skepsis hervorruft.
Auch Unstimmigkeiten zwischen der Darstellung der Arbeitgeber und den Bewertungen der Mitarbeiter bleiben den Nutzern nicht verborgen. Ein Unternehmen, das in seinen Stellenanzeigen eine ausgewogene Work-Life-Balance verspricht, für das Nichteinhalten des Versprechens aber in den Bewertungsportalen kritisiert wird, gefährdet seine Glaubwürdigkeit – mit Folgen. Denn vor dem Hintergrund, dass mehr als die Hälfte der in der Trendence-Studie befragten Nutzer immer oder häufig Erfahrungsberichte von Arbeitnehmern liest, ist es nicht verwunderlich, dass fast 68 Prozent aller Befragten sich bestehender Diskrepanzen bewusst sind und mehr als die Hälfte bei solchen Widersprüchen von einer Bewerbung absieht.
Interessenkonflikt durch Businessmodell
Die Verantwortung für eine faire und authentische Repräsentation liegt letztlich bei den Unternehmen. Auch gilt es zu beachten, dass Glassdoor kein Non-Profit ist und sich über Dienstleistungen wie Arbeitgeber-Branding, Trendanalysen, Stellenangebote und gezielte Jobanzeigen finanziert. Obwohl Glassdoor für die Anonymität seiner Nutzer und dementsprechend auch die Integrität seines Services einsteht, ist entlang des Businessmodells ein gewisser Interessenkonflikt nicht abzuweisen. Das Unternehmen nimmt eine balanceintensive Position zwischen seinen Nutzern, den Rezensionsverfassern und –konsumenten, und seinen Kunden, den zahlenden Unternehmen, ein.
Dazu sieht sich das Unternehmen mitsamt seiner Mitbewerber vor einer Herausforderung: Es ist für den Service unmöglich, den Wahrheitsgehalt von Rezensionen zu überprüfen. Zwar lassen sich Review Bombs aufgrund ihres plötzlichen Auftauchens managen, andere Formen nicht-sachlicher Ressentiments gegen ein Unternehmen jedoch eventuell weniger. Weiterhin kann Glassdoor Mitarbeiteraussagen ohne Zugriff auf Unternehmensinterna nicht verifizieren und muss diese bei zutreffender Richtlinienverletzung entfernen – womit die Plattform wiederum unfreiwillig für das Unternehmen entscheidet.
Um dem Missbrauch auf beiden Seiten entgegenzuwirken, könnten die Plattformbetreiber genauere Kontrollinstanzen implementieren und ihren regulären Support auch auf nicht-zahlende Kunden ausweiten sowie ausgefeiltere Mechanismen zur Wahrung der Anonymität der Mitarbeiter einsetzen.
Bild: Midjourney/Golem.de