Zertifikatskurse in der IT: "Hauptsache, die Bewerbungsmappe ist dick"
Allgeier SE, einer der größten deutschen IT-Dienstleister mit rund 3.000 Mitarbeitern, gehört dazu. Das Unternehmen hat aufgrund einer dezentralen Struktur viele Gesellschaften. Es entwickelt Software, betreibt Rechenzentren und unterstützt seine Kunden, Informationssicherheit sicherzustellen. Das Unternehmen hat über 2.000 Kunden mit Fokus auf Europa.
Anselm Rohrer leitet bei Allgeier IT, einer Tochtergesellgeschaft der Allgeier SE mit rund 150 Mitarbeitern, den Bereich Informationssicherheits-Managementsysteme. "Wir helfen unseren Kunden, eine leistungsfähige IT-Security aufzubauen", sagt Rohrer. "Zu den wichtigsten Weiterbildungen zählen Zertifikatskurse." Das gelte für alle IT-Fachkräfte bei Allgeier und in anderen Unternehmen auch.
Mit den Zertifikaten weisen deren Inhaber fachliche Skills nach. "Das macht sie für den Arbeitsmarkt wertvoller", sagt Rohrer und "der Arbeitgeber kann mit den Zertifikaten seiner Beschäftigten an Aufträge kommen." Denn häufig sind diese an Zertifikate geknüpft.
Zudem sind Zertifikate der Nachweis für geprüftes Wissen und aufgrund standardisierter Fortbildungen miteinander vergleichbar. IT-Unternehmen und deren Mitarbeiter sind quasi gezwungen mitzumachen - ansonsten sind sie nicht konkurrenzfähig bei der Auftragsvergabe. Ohne Zertifikate geht in der IT wenig bis nichts.
Weiterbildungsquote ist in der IT höher als in anderen Branchen
Durchschnittlich hat sich in Deutschland 2019 jeder Mitarbeiter 18,3 Stunden weitergebildet, eine Stunde mehr als 2016. Je Mitarbeiter haben die Unternehmen 1.236 Euro in Weiterbildung investiert (rund 16 Prozent mehr). Die Zahlen stammen vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), sie wurden im Dezember in der IW-Weiterbildungserhebung 2020 veröffentlicht. Alle drei Jahre befragt das IW Unternehmen zu deren Weiterbildungsaktivitäten.
Die Befragungen haben gezeigt, dass die Digitalisierung ein wesentlicher und zunehmender Treiber für Weiterbildung ist. 41,3 Milliarden Euro haben die Firmen 2019 in Weiterbildung investiert, das ist fast ein Viertel mehr als drei Jahre davor. Aktuelle Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung weisen darauf hin, dass die Weiterbildung in IT-Berufen über dem Durchschnitt liegt und die Weiterbildungsquote damit höher ist als im Mittel. Zertifikatskurse sind die wichtigste Form der Fortbildung für IT-Fachkräfte.
Zertifikate als Absicherung im Störfall
Das Zertifikat unterscheidet die Teilnahmebestätigung an einer Fortbildung durch die am Ende abgelegte Prüfung. "Damit ist ein Zertifikat der Nachweis für geprüftes Fach-, Produkt- und Prozesswissen und gilt damit wie ein Zeugnis im Bewerbungsprozess", sagt Renate Skender, Produktmanagerin bei Integrata Cegos, einem in Europa führenden Unternehmen für die Weiterbildung in Informationstechnologien.
Der IT-Zertifizierungsmarkt ist nach Angaben von Skender sehr groß und in den letzten Jahren gewachsen. "Heute sichern sich Unternehmen durch zertifizierte Mitarbeiter ab, falls es zu einem Störfall kommt", sagt Skender. Das Dokument ist dann gegenüber dem Auftraggeber der Nachweis dafür, dass der Mitarbeiter das notwendige Fachwissen hatte.
Fünf-Tages-Kurs kostet im Schnitt 2.750 Euro
"Außerdem können die Arbeitgeber davon ausgehen, dass Teilnehmer an einem Zertifikatskurs nicht fünf Tage mehr oder weniger motiviert einen Kurs absitzen, sondern tatsächlich Neues lernen, weil sie am Ende eine Prüfung ablegen müssen", sagt Skender. Immerhin kostet ein Fünf-Tages-Zertifikatskurs im Durchschnitt 2.500 Euro plus 250 Euro Prüfungsgebühr. Diese Investition, die überwiegend die Arbeitgeber übernehmen, soll sich schließlich lohnen.
Für die Softwareentwicklung definieren internationale Boards wie das International Software Testing Qualifications Board (ISTQB) Lehrpläne für Zertifikatskurse und Inhalte für die Prüfungen. Dasselbe gilt für Hersteller wie Microsoft und Citrix. "Wir als Schulungsunternehmen stellen Trainer, Raum und Unterlagen zur Verfügung", sagt Skender.
Die am Markt wichtigsten Zertifizierungen sind nach ihren Angaben seit Jahren die gleichen: Bei den Herstellern sind das etwa Microsoft und Citrix, bei Prozessen ISTQB und ITIL. IT-Zertifizierungen sind wie ein Selbstläufer in der Weiterbildung, denn immer, wenn es neue Versionen von Hard-, Software und standardisierten Prozessen gibt, erfolgt auch ein Update bei der Zertifizierung.
Lukrativ: Zertifikate sollten immer wieder erneuert werden
"Wenn die Inhaber fachlich am Ball bleiben wollen, sind sie gezwungen, ihre Zertifikate regelmäßig zu aktualisieren", sagt Skender. Jede neue Version eines Produkts oder Prozesses bedingt so eine Zertifikatsschulung. Dadurch ist der Zertifikatsmarkt aus sich selbst heraus in lukrativer Bewegung.
Nach Meinung von Rohrer von Allgeier IT ist Deutschland sehr zertifikatelastig. "Während in den USA Referenzen eine größere Rolle spielen, gilt in Deutschland noch immer bei vielen Unternehmen: Hauptsache, die Bewerbungsmappe ist dick." Für ihn sind Zertifikate dort notwendig, wo komplexe Prozesse und Techniken vorherrschen. In der Netzwerksicherheit seien das beispielsweise Firewalls von Herstellern wie Fortinet, Palo Alto oder Juniper Networks.
"Es gibt viele Bildungsanbieter, die Zertifizierungen anbieten, aber als Prüfungsergebnis kein allgemeingültiges Zertifikat ausstellen, sondern ihr eigenes", sagt Rohrer. Solche Zertifikate hält er für bedenklich, weil sie nicht allgemein anerkannt sind.
Braucht es wirklich ein Zertifikat als IT-Consultant
Überflüssig sind aus seiner Sicht allgemeine Fortbildungen zum zertifizierten IT-Projektmanager oder IT-Consultant. "In diesen Kursen wird theoretisches Wissen vermittelt und hinterher ist fraglich, ob die Teilnehmer das in der Praxis umsetzen können." In speziellen Zertifikatskursen ist die Praxis am Produkt oder im Prozess integriert.
Manche Anbieter bieten ihre Zertifikatskurse kostenfrei an, andere verlangen Gebühren, einige davon erstatten sie beim Erreichen vorgegebener Umsatzziele. "Den Modus bestimmt zumeist die Marktposition des Anbieters", sagt Rohrer. So bieten etwa neue Anbieter kostenlos Zertifizierungen an und refinanzieren die Kurse über den Verkauf von Produkten.
Die Marktmacht Microsoft hingegen hat ein eigenes Geschäftsmodell etabliert. Das Unternehmen bietet eine Vielzahl an Zertifizierungen an, über alle Lösungen hinweg. Für den Cloud-Dienst Microsoft-Azure auf Einsteiger- oder Fortgeschrittenenebene oder für künstliche Intelligenz mit der AI Business School. "Viele Lernende nutzen unsere kostenfreie Lernplattform Microsoft Learn, andere gehen zu Kursen unserer Learning Partner und wieder andere werden durch Trainer von uns geschult", sagt Edip Saliba, Enterprise Skills Manager bei Microsoft Deutschland.
Manche Firmen wollen nicht, dass ihre Mitarbeiter Zertifikate haben
Für die Arbeitgeber können gefragte Zertifikate ihrer Beschäftigten allerdings gefährlich sein, weil sie dann zum Ziel für Abwerbungsversuche werden. "Einige Bundesbehörden und auch vereinzelt Großunternehmen kaufen Kurse ohne Prüfungen ein, weil sie ihre Mitarbeiter nicht verlieren wollen", sagt ein Insider, der namentlich nicht genannt werden will.
Zertifikate machen die Inhaber interessant für den IT-Arbeitsmarkt. Die Behörden würden ihre Praxis darauf schieben, dass sie Neutralität bei den Produkten wahren müssen. Doch das sei ein vorgeschobenes Argument. In Wahrheit geht es den Behörden und Konzernen darum, ihre Mitarbeiter zu schulen, aber sie nicht für den Arbeitsmarkt aufzuwerten. Das können Zertifikate zweifellos.