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Mythos Lerntypen: Wie sich eine widerlegte Bildungstheorie im digitalen Zeitalter hält
Lerntypen sind unwissenschaftlich und doch tief im kollektiven Wissen verankert. Woher der Mythos kommt und wie lernen geht, lest ihr hier.
“Ich bin eher der visuelle Lerntyp” hört man (oder sagt man selbst) relativ häufig, wenn es um die Aufnahme von Wissen geht. Interessant dabei ist, dass kaum jemand von sich behauptet, nicht besser “visuell”, also durch die Zuhilfenahme von grafischen Elementen, Bildern usw. lernen zu können. Das liegt daran, dass inhärente Unterschiede in der kognitiven Verarbeitung und Speicherung von Informationen in unseren Gehirnen gar nicht existieren. Da es in Zeiten der Informationsflut wichtig ist, Fakten von Mythen zu unterscheiden, räumt dieser Artikel mit einem der hartnäckigsten Mythen unserer Zeit auf.
Überholte, alte kognitionswissenschaftliche Konzepte
Der Mythos der Lerntypen beruht auf der Vorstellung, dass man am besten lernt, wenn der Lehrstoff auf die bevorzugten Lernmodalitäten zugeschnitten ist, z. B. visuelles, auditives oder kinästhetisches (auch: haptisch) Lernen. Dieses Konzept hat sich in Bildungskreisen aufgrund seiner intuitiven Anziehungskraft durchgesetzt. Es suggeriert einen personalisierten Bildungsansatz, bei dem die Lehrmethoden auf die vermeintlich angeborenen Lernpräferenzen eines jeden Lerners abgestimmt sind.
Das Konzept der Lerntypen, welches sich in den 1970er Jahren im Bildungsbereich herausgebildet hat, beruht auf der Überzeugung, dass jeder Mensch unterschiedliche, angeborene Präferenzen für die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen hat. Diese Präferenzen wurden von verschiedenen Theoretikern auf unterschiedliche Weise kategorisiert. Das einflussreiche Modell von David Kolb, das auf dem Erfahrungslernen basiert, geht beispielsweise davon aus, dass Menschen bestimmte Lerntypen haben, die durch ihre Interaktionen mit ihrer Umgebung beeinflusst werden, wie z. B. Akkommodierer, Konvertierer, Divergenzler und Assimilierer.
Von den vielen existierenden Modellen der Lerntypen ist heute das VARK-Modell von Neil Fleming am weitesten verbreitet. Dieses Modell kategorisiert die Lernpräferenzen in vier Haupttypen: visuell, auditiv, Lesen/Schreiben und kinästhetisch. Es geht davon aus, dass Menschen eine eindeutige Vorliebe für das Lernen durch visuelle Mittel wie Diagramme und Grafiken, auditive Methoden wie das Hören von Vorträgen, das Lesen oder Schreiben von Texten oder durch praktische, kinästhetische Aktivitäten haben. Dieses Modell, wie auch andere vor ihm, soll Pädagogen dabei helfen, ihre Lehrmethoden auf die individuellen Lernpräferenzen abzustimmen.
Wissenschaftlich nicht bewiesen und sogar schädlich
Trotz ihrer intuitiven Anziehungskraft und ihrer weit verbreiteten Akzeptanz wurden diese Theorien jedoch von der wissenschaftlichen Forschung zunehmend hinterfragt und diskreditiert, da sie die vielfältigen und dynamischen Formen des Lernens nicht angemessen widerspiegeln. In einer Studie der American Psychological Association wird nicht nur die Wirksamkeit dieses Ansatzes infrage gestellt, sondern auch seine Schädlichkeit in Betracht gezogen. Die Forschung liefert keine stichhaltigen Beweise dafür, dass die Berücksichtigung des bevorzugten Lerntyps der Lerner zu besseren Lernergebnissen führt. Vielmehr legt sie nahe, dass ein solcher Ansatz die Komplexität des Lernprozesses zu sehr vereinfacht und zu ineffizienten Bildungspraktiken führen könnte.
Trotzdem hält sich der Mythos hartnäckig, unter anderem wegen seiner intuitiven Anziehungskraft und der Einfachheit, die er bietet. Diese Hartnäckigkeit wird durch Bildungsmedien und -institutionen, wie z. B. die Bay Atlantic University in ihrem Blog, noch verstärkt, die weiterhin Lerntypen propagieren, ohne die fehlende wissenschaftliche Untermauerung anzuerkennen. Der Kontrast zwischen der Verbreitung und der Unwissenschaftlichkeit ist nach dieser Studie gleichermaßen “erstaunlich und erschreckend”.
Laut der APA-Studie glaubten über 90 Prozent der 668 Teilnehmer an die Wirksamkeit des Unterrichts nach diesen Typen. Dieser Glaube wird unterteilt in "essentialistisch" (starrer Glaube an ererbte Lerntypen, die die Gehirnfunktion beeinflussen) und "nicht essentialistisch" (flexible, umweltbeeinflusste Ansichten). Das Fortbestehen dieses Mythos kann sich nachteilig auswirken und zu ineffektiven pädagogischen Praktiken, einer falschen Zuweisung von Ressourcen und Unterrichtsstrategien führen, die nicht mit evidenzbasierten Lernmethoden übereinstimmen. Diese Fehlanpassung kann den akademischen Erfolg der Lerner behindern und überholte Bildungsmodelle aufrechterhalten.
Schritt für Schritt zu evidenzbasierten Lernmethoden
Wo Lerntypen zwar keine wissenschaftliche Basis haben, erwiesen sich evidenzbasierte Lernmethoden jedoch als wirksam. Techniken wie "Distributed Practice", bei dem Lerneinheiten über einen längeren Zeitraum verteilt werden, und "Retrieval Practice", bei dem der Schwerpunkt auf dem Abrufen von Informationen aus dem Gedächtnis liegt, haben sich als lernfördernd erwiesen. Darüber hinaus sind auch elaborative Fragen, bei denen die Lerner während des Lernens nach dem "Warum" fragen, und Selbsterklärungen, bei denen sie Konzepte in ihren eigenen Worten erklären, wirksam. Diese kognitionswissenschaftlich fundierten Strategien bieten praktische Möglichkeiten zur Verbesserung des Lernens und des Gedächtnisses, im Gegensatz zu dem nicht unterstützten Ansatz der Lerntypen.
Der Experte für Softwareprogrammierung Dr. Milan Milanović hat weitere Lernmethoden zusammengestellt, die dabei helfen, sich Wissen nicht nur anzueignen, sondern es auch langfristig zu behalten - besonders wertvoll für Entwickler. In unserem zweiteiligem Artikel befasst er sich mit dem tiefen Verständnis durch die Feynman-Technik, der effektiven Wiederholung durch Spaced Repetition, der Verbesserung des Gedächtnisses durch Active Recall, dem schnellen Erwerb von Fähigkeiten durch die 20-Stunden-Lernmethode und dem Erfahrungslernen, wie es in der Theorie des Erfahrungslernens von Kolb vorgeschlagen wird. Diese Techniken bieten einen umfassenden Rahmen für effektives Lernen in der Softwareentwicklung.
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