Digitalisierung in Firmen: Warum IT-Teams oft übergangen werden
(Bild: Pixabay)
Ein Bericht von Markus Kammermeier veröffentlicht am
Wenn Firmen ihre Abläufe digitalisieren wollen, fragen sie erstaunlich selten ihre eigene IT-Abteilung nach deren Meinung. Warum eigentlich - und wie kommen die IT-Teams da raus?
In vielen Unternehmen wird die IT vor allem als Problemlöser und Technikbetreiber gesehen. Für die Modernisierung der Abläufe und Geschäftsmodelle brauchen die Fachbereiche einen starken Sparringspartner an ihrer Seite. Häufig wird dieser dann extern gesucht. Die Rolle der IT muss sich weiterentwickeln, doch noch sind nicht alle IT-Teams bereit dafür. Dieser Artikel zeigt an einem Beispiel, wie sich IT neu aufstellen kann.
In Umfragen sind sich die meisten Firmenleitungen einig: IT wird immer wichtiger. Schließlich wollen ja alle ihre Prozesse digitalisieren - und da spielt die IT die entscheidende Rolle. In einer Studie von Horvath & Partners waren fast alle befragten Entscheider aus Deutschland, Österreich und der Schweiz der Meinung, dass die Bedeutung der IT in den nächsten Jahren wachsen wird. Wenn es aber um die eigene IT-Abteilung geht, sind sie eher skeptisch. Nur 15 Prozent sehen sie als Mitgestalter des Wandels, dagegen wird in 77 Prozent der Unternehmen die IT aktuell als rein technische Funktion wahrgenommen.
Als Experte für Digitalisierung und Organisationsentwicklung habe ich in den vergangenen Jahren IT-Teams dabei begleitet, ihre Rolle im Unternehmen neu zu finden. Denn das müssen sie, um von ihren Vorgesetzten nicht nur als Problemlöser und Technikbetreiber gesehen zu werden, sondern auch beim großen Thema Modernisierung ernst genommen zu werden. Die Weiterentwicklung der eigenen Rolle ist wichtig für den Erfolg des gesamten Unternehmens und wird zunehmend auch von den anderen Bereichen eingefordert.
Oft fehlt das Verständnis füreinander
Warum das häufig nicht so ist, ist recht einfach zu erklären. Sehen wir uns eine typische IT-Abteilung in einem Industrieunternehmen an: Von 1.500 Beschäftigten verfügen 400 über einen PC-Arbeitsplatz. Als zentrale EPR-Lösung wird die Software eines großen Anbieters eingesetzt.
Die fünf Arbeitskräfte in der IT betreiben eine robuste und innovative IT-Infrastruktur: Die Server arbeiten im hauseigenen Rechenzentrum und sind virtualisiert. Für die hohe Verfügbarkeit kommen Cluster zum Einsatz. Die Netzwerk-Hardware ist redundant ausgeführt. Externe Kunden und Partner sind über elektronische Schnittstellen angebunden.
Das Tagesgeschäft wird von den Problemen der internen PC-Anwender bestimmt. Die meisten Probleme betreffen die Arbeit mit Geschäftsanwendungen, Schnittstellen oder Bedienfehler. Die Fachbereiche fordern immer stärker die Aktualisierung und Einführung neuer Anwendungen, wie neuer CRM-Systeme, mobiler Anwendungen oder Kollaborationslösungen in der Cloud. Doch dafür bleibt meist keine Zeit. In dieser Situation fallen seitens Geschäftsführung und Führungskräften Sätze wie:
- "Unsere IT-Abteilung versteht unser Geschäft nicht!"
- "Innovationen werden nie von der IT getrieben!"
- "Bei Neuanforderungen bietet unsere IT keine Lösung!"
- "Wir verstehen nicht, was unsere IT eigentlich den ganzen Tag tut!"
Das IT-Team sieht sich selbst gefangen zwischen Tagesgeschäft und Problembehebung. Dabei wird die Kluft zwischen Fachbereich und IT immer größer. Die Anfrage des Vertriebs nach einer mobilen CRM-Lösung wird verschoben - erst steht das Update auf die neueste Windows-Version an. Der Wunsch der Personalabteilung nach einer digitalen Gehaltsabrechnung wird ebenfalls zurückgestellt - gleich nach dem Rollout des neuen Sharepoint im Intranet kommt dieses Thema auf die Agenda. Wo sich der Fachbereich Erleichterung durch neue Lösungen erwartet, sieht das IT-Team die Schwierigkeiten bei der Einbindung in die IT-Landschaft. Beide Seiten reagieren dabei mit Unverständnis.
In der Folge umgehen die Abteilungen die eigene IT bei neuen IT-Projekten und kaufen zum Beispiel Cloud-Lösungen von außen ein. Dadurch wird der Fachbereich unabhängiger vom eigenen IT-Team. Zumindest so lange, bis die neue Cloud-Lösung eine Schnittstelle zur bestehenden Anwendung im Haus braucht. Tatsächlich wird der Fachbereich immer öfter zum Einkäufer von IT-Lösungen. Viele Unternehmen erwägen heute bereits den Übergang der Anwendungsbetreuung an den Fachbereich.
Manche IT-Teams reagieren darauf mit Widerstand: Sie verschärfen Richtlinien, sanktionieren Anwendungen und schieben Sicherheitsbedenken vor, um Anforderungen zu verschieben oder wegzudiskutieren. Damit werden neue Anfragen zurückgedrängt und der Handlungsspielraum für die Fachbereiche eingeschränkt. Gleichzeitig reagieren Anwender genervt, die Innovationsgeschwindigkeit sinkt und das IT-Team hat bald das Image als Bremser im eigenen Haus. Schlussendlich werden Projekte oft von der Geschäftsführung an der IT vorbei freigegeben. Dabei entsteht neuer Frust in der IT-Abteilung und die Fronten verhärten sich weiter.
Das IT-Team aus unserem Beispiel war in einer solchen Situation gefangen: Die teilweise unqualifizierten Anfragen der Anwender schlugen direkt und ungesteuert bei den Top-Experten in der IT auf. Die Tickets waren oft unvollständig, so dass sich die IT-Spezialisten jeweils mühsam in das Thema eindenken mussten. Das kostete viel Zeit und blockierte die IT-Mitarbeiter viel zu lange. Die hier verschenkte Zeit fehlte bei der Weiterentwicklung der IT-Landschaft. Das wiederum führte zu Unmut bei den Anwendern.
Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, wollte sich das IT-Team selbst neu aufstellen. Seine Ziele waren die Verbesserung der Service-Qualität, mehr Zeit für die Weiterentwicklung der IT-Landschaft und ein neues Image im Unternehmen. Drei Themenfelder standen nach der ersten Analyse dabei im Vordergrund:
- Der Support soll bereits durch befähigte Anwender in den Fachabteilungen aufgefangen werden. Diese Key-User sollen die Kommunikation zur IT-Abteilung kanalisieren.
- Der Zugang zu den IT-Fachleuten soll erschwert werden. Hierfür wird das bereits bestehende (aber kaum genutzte) Ticket-System reaktiviert. Zusätzlich wird die Rolle des Service-Desk im IT-Team geschaffen. Diese Rolle wandert täglich im Team.
- Einzelne IT-Mitarbeiter sollen zu Prozess-Experten weiterentwickelt werden. Diese neue Rolle soll dem Fachbereich als Sparringspartner bei neuen Anforderungen und der Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle dienen.
Um diese Ziele zu erreichen, analysierte das IT-Team die aktuelle Situation, entwarf ein Zielbild und eine Roadmap dorthin.
Die wichtigsten Fragen: Wer sind wir und wie wollen wir sein?
Um die eigene Situation besser greifen und die Entwicklung planen zu können, hilft eine ehrliche Bestandsaufnahme:
- Wo steht das Team heute?
- Welche Kompetenzen werden von uns zukünftig gefordert?
- Wie entwickeln wir das Team hier weiter?
Für die Bestandsaufnahme wurden Gespräche im Team geführt, die vorhandenen Fähigkeiten und Kenntnisse aufgenommen (Kompetenz-Assessments) und Meinungen aus den Fachbereichen eingeholt. Zur Ermittlung der künftigen Anforderungen nutzte das Team den Input der Geschäftsleitung (Unternehmensstrategie), Trend-Studien und Kompetenzleitfäden.
Roadmap für die Weiterentwicklung der IT (Grafik: Markus Kammermeier)
Unser Beispiel-Team nutzte für das Feedback der Fachbereiche das persönliche Gespräch mit Schlüsselpersonen. Das Ergebnis: Die meisten Kollegen nahmen die IT-Abteilung als Technik-Experten wahr, allerdings trauten sie dem Team keine Prozess-Kompetenz zu. Neue Anforderungen diskutierten die Fachabteilungen lieber mit externen Beratern als mit der internen IT. Für das IT-Team war das nicht überraschend, aber in dieser Deutlichkeit sehr hilfreich.
So weit der Ist-Zustand. Das Zielbild wiederum wird aus den Unternehmenszielen abgeleitet. Unser IT-Team möchte klar darstellen, welchen Beitrag es selbst zur Erreichung der Unternehmensziele beiträgt. Damit soll auch das Bild von der IT als reiner Kostenstelle verändert werden.
Bei der Analyse von Trends beschäftigte sich das Team vor allem mit dem Schlagwort No-Ops - also der Vision, den Betrieb von Systemen und Infrastruktur in die Cloud zu verlagern. Unkritische Anwendungen werden zukünftig aus der Cloud bezogen. Auch ein Umzug aus dem Serverraum in ein externes Rechenzentrum steht zur Diskussion. Das Team erwartet sich dadurch eine Reduzierung von Routinetätigkeiten und mehr Freiräume für die strategischen Themen.
Die Kompetenzen der Zukunft für die Rolle der IT versucht eine weitere Studie von Horvath & Partners vorherzusagen. In ihr werden fünf Kompetenzen genannt, die IT-Teams künftig entwickeln müssen.
- Change Management
- Verständnis von IT als wertschöpfende Einheit
- Beratungskompetenz der IT
- Verständnis für digitale Produkte
- Ende-zu-Ende-Prozessverständnis
Im Projekt wird die zukünftige Rolle der IT als Business Enabler bezeichnet. In dieser Rolle steht sie dem gesamten Unternehmen als Partner für die Weiterentwicklung neuer Geschäftsfelder zur Verfügung. Technik und Digitalisierung werden dabei zu Werkzeugen, um Kunden besser zu erreichen und zufriedenzustellen.
Vom Ticket-Bearbeiter zum Business Enabler
Vom Ticket-Bearbeiter und Server-Verwalter zum Business Enabler ist es aber ein weiter Weg. Gemeinsam mit dem Team habe ich ausgearbeitet, wie die einzelnen Schritte aussehen könnten. Dazu entwickelten wir ein Reifegrad-Modell. Es zeigt mögliche idealtypische Entwicklungsschritte für die IT auf, wobei der Reifegrad die aktuellen Fähigkeiten auf einer Stufe beschreibt. Gleichzeitig gibt das Modell Orientierung über das nächste mögliche Vorgehen zur Weiterentwicklung.
Reifegrade bei der Rolle der IT (Grafik: Markus Kammermeier)
Der erste Reifegrad Operator beschreibt eine IT, die als Problemlöser auf neue Schwierigkeiten reagiert. Sie ist bestimmt von den Anforderungen von außen. Für seine Weiterentwicklung muss der Operator zunächst Stabilität in der IT-Landschaft schaffen. Das erreicht er unter anderem durch effiziente Prozesse und die Standardisierung von Komponenten.
Im zweiten Reifegrad als Technik Guide sind Technik und Infrastruktur stabil. Das IT-Team arbeitet für sich weitgehend produktiv. Allerdings wird es nicht als Partner für die Digitalisierung im Unternehmen wahrgenommen. Erst in der dritten Stufe als Process Partner tritt die IT als Experte für Prozesse und Veränderungen im Unternehmen auf. Für den nächsten Entwicklungsschritt muss sie die wertschöpfenden Prozesse noch besser verstehen, Entscheidungen unterstützen und die agile Projektarbeit fördern. Als Business Enabler wird die IT zum Partner für die Neuausrichtung von Geschäftsmodellen.
Im Team ließen sich der heutige Reifegrad und die zukünftige Rolle schnell ermitteln. Die ehrliche Einordnung schuf Orientierung und half, die nächsten Schritte zu planen und die Entwicklung des Teams auszurichten.
Eine Frage hat das Team dabei immer wieder beschäftigt: Muss jetzt jeder von uns dieses Reifegrad-Modell für sich selbst anwenden? Muss jeder Business Enabler sein? Nach einigen Gesprächen wurde das klarer: Entscheidend für das Unternehmen ist der Reifegrad des Teams. Bestimmte Rollen muss das IT-Team anbieten können - aber nicht jeder IT-Kollege muss den gleichen Weg einschlagen.
Für die Entwicklung der Mitarbeiter wurden individuelle Pläne vereinbart. Diese waren Kombinationen aus unterschiedlichen Maßnahmen.
- Mitarbeiter im Tagesgeschäft der Fachabteilungen (zumindest zeitweise)
- gezielte Schulungen für das IT-Team
- individuelles Coaching bzw. Mentoring für einzelne Kollegen durch externe Partner
- regelmäßige Termine des Teams zur Positionsbestimmung
Daneben wurden das Support-Modell und die Key-User-Rolle überdacht. Zwei Rollen wurden in der Folge im Unternehmen etabliert:
- Key-User fangen als IT-Experten in den Fachteams einen Teil des Supports auf. Gleichzeitig sind sie wichtige Partner bei der Bereitstellung von neuen Lösungen oder Funktionen.
- Application-Owner (oder Process-Owner) unterstützen den Betrieb von Softwarelösungen auf der fachlichen Seite. Sie konsolidieren Bedarfe und werden damit nach und nach Stützen für die Weiterentwicklung der Applikationslandschaft.
Auch für diese Rollen wurden eigenständige Reifegrad-Modelle entwickelt. Diese wurden nachträglich durch Entwicklungsmaßnahmen (Trainings, Schulungen) ergänzt.
Erste Effekte sind schnell zu sehen
Bereits nach kurzer Zeit zeigte sich durch das neue Support-Modell eine erste Entlastung im Team: Einfache Service-Anfragen werden jetzt vermehrt vor Ort durch die Key-User gelöst. Dadurch entwickelt sich auch die digitale Kompetenz bei den Anwendern weiter. Die Qualität der Anfragen für das IT-Kernteam steigt und die reduzierten Anfragen können besser gesteuert werden. Gleichzeitig wurde bei der Entwicklung der Key-User deutlich, dass deren Ausbildung umfangreicher werden würde als gedacht.
Das Reifegrad-Modell gab dem Team eine Ausrichtung für die Zukunft. Im Unternehmen als Partner für die Digitalisierung wahrgenommen zu werden, ist allerdings eine langfristige Aufgabe, und zwar eine für mehrere Jahre.
Dieses Projektbeispiel, Studien und meine Erfahrung zeigen: Die neue Rolle der IT wird sich in vier Bereiche gliedern.
- Sparringspartner für das Business
- Change Manager in der Digitalen Transformation
- Prozessberater für innovative Lösungen
- Dirigent von Anwendungen, Services und Partnern
IT-Abteilungen, die diese Herausforderung annehmen, werden in den Unternehmen sichtbar und gestalten deren Weiterentwicklung aktiv mit. Wo IT-Abteilungen diese Rolle nicht annehmen, werden sich andere im Haus finden. Die IT wird sich dort weiter um Infrastruktur und Technik kümmern. Die Weiterentwicklung der Geschäftsanwendungen und -modelle findet dann in anderen Bereichen statt. Ich bin überzeugt, dass damit eine Chance zur Weiterentwicklung der Teams verschenkt wird.
Ein mittelständischer Unternehmer hat kürzlich seine IT-Vision mit mir geteilt: "Wenn ein Besucher auf dem Hof nach dem Weg zur IT-Abteilung fragt, antwortet jeder im Haus 'Wir alle sind Teil des IT-Teams.'" Damit drückte er das aus, was viele Unternehmenslenker heute spüren: IT wird in (fast) jeder Branche Teil des Geschäftsmodells. Das Wissen hierfür ist in den IT-Teams bereits heute vorhanden. Die Herausforderung ist, dieses Wissen den Fachbereichen zugänglich zu machen.
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