Digitale Wettbewerbsfähigkeit: Frankreich überholt Deutschland bei Tech-Investitionen

Während deutsche Unternehmen bei digitalen Investitionen weiterhin vorsichtig agieren, setzen französische Konzerne auf mutige Tech-Strategien – mit Folgen für Europas Wettbewerbsfähigkeit.
Europas digitale Zukunft steht auf dem Spiel, doch die Reaktionen der beiden größten Volkswirtschaften des Kontinents fallen überraschend unterschiedlich aus. Eine neue Studie von der Boston Consulting Group zeigt: Während deutsche Unternehmen weiterhin vorsichtig agieren, setzen französische Konzerne auf mutige digitale Investitionen. Die Unterschiede sind gravierend – und könnten langfristige Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit haben.
Die Untersuchung, die CEO und C-Level-Führungskräfte sowie deren direkte Managementebenen in Deutschland und Frankreich befragte, offenbart eine beunruhigende Realität: Obwohl digitale Transformation längst als Schlüsselfaktor für wirtschaftlichen Erfolg erkannt wird, behandeln viele Unternehmen sie noch immer als nachrangiges Thema. Nur 18 Prozent der deutschen und 22 Prozent der französischen Unternehmen geben an, dass Tech Readiness höchste Priorität auf Führungsebene hat. Mehr als die Hälfte betrachtet sie als gleichrangig oder sogar untergeordnet zu anderen strategischen Initiativen.
Frankreich wagt größere digitale Sprünge
Beim Blick auf die geplanten Investitionen zeigen französische Unternehmen deutlich stärkere digitale Ambitionen: 28 Prozent der französischen C-Level-Führungskräfte planen, bis 2026 zwischen 30 und 50 Prozent ihres Gesamtbudgets in Technologie zu investieren. In Deutschland sind es gerade einmal 18 Prozent. Gleichzeitig investieren 40 Prozent der deutschen Firmen weniger als 20 Prozent ihres Budgets in digitale Initiativen – ein Zeichen für anhaltende Zurückhaltung.
Der Fokus der Investitionen unterscheidet sich dabei fundamental. Deutsche Unternehmen konzentrieren sich weiterhin stark auf Infrastruktur und Kernsystemerneuerungen – 32 Prozent gegenüber nur 24 Prozent in Frankreich. Diese Prioritätensetzung birgt Risiken, denn strukturelle Transformationen allein garantieren keine Innovation. Französische Unternehmen hingegen zielen zunehmend auf Innovationen in Geschäftsprozessen und digitale Kundenschnittstellen ab. Zwölf Prozent investieren in kundenorientierte Plattformen, während es in Deutschland nur acht Prozent sind.
Strukturelle Transformationen wie ERP-Modernisierungen oder Cloudmigrationen schaffen zwar eine solide technische Basis, bleiben aber oft auf interne Prozesse beschränkt. Sie optimieren bestehende Abläufe, entwickeln jedoch selten neue Geschäftsmodelle oder schaffen direkte Mehrwerte für Kunden. Wer ausschließlich in diese digitale Hygiene investiert, läuft Gefahr, technisch auf dem neuesten Stand zu sein, aber dennoch von innovativeren Wettbewerbern überholt zu werden, die ihre Technologie für marktnahe Lösungen einsetzen. Die französische Fokussierung auf kundenorientierte Plattformen und Geschäftsinnovationen zielt dagegen darauf ab, durch Digitalisierung neue Umsatzquellen zu erschließen und die Wettbewerbsposition aktiv zu stärken.
Talentlücke bremst europäische Digitalisierung
Eine der größten Hürden für beide Länder bleibt die strukturelle IT-Talentlücke. 70 Prozent aller befragten Unternehmen berichten von unzureichendem digitalen Talent. Nur etwa 20 Prozent der Angestellten arbeiten in digitalen oder IT-Bereichen. Besonders dramatisch ist die Situation in Deutschland bei Softwareentwicklern: 38 Prozent der deutschen Firmen geben an, dass Softwareentwickler weniger als zehn Prozent ihrer IT-Teams ausmachen. In Frankreich trifft dies nur auf 20 Prozent zu.
Diese Zahlen spiegeln eine problematische Entwicklung wider. Während Deutschland traditionell auf breitere IT-Funktionen setzt, stärkt Frankreich gezielt seine Softwarekompetenzen. 72 Prozent der deutschen Unternehmen berichten, dass bis zu 20 Prozent ihrer Angestellten in IT-Rollen arbeiten, verglichen mit 68 Prozent in Frankreich. Doch dieser scheinbare Vorteil erweist sich als trügerisch, wenn die Spezialisierung auf innovative Technologien fehlt.
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Digitale Souveränität bleibt Lippenbekenntnis
Ernüchternd sind die Ergebnisse zur digitalen Souveränität. Obwohl viele Organisationen verbal die Absicht äußern, ihre Abhängigkeit von nicht-europäischen Technologieanbietern zu verringern, bleibt konkretes Handeln die Ausnahme. 52 Prozent der deutschen Unternehmen und 34 Prozent der französischen Firmen geben weniger als 20 Prozent ihres IT-Budgets für dieses Ziel aus.
Noch drastischer: 32 Prozent der deutschen Unternehmen planen gar keine Investitionen zur Reduzierung technologischer Abhängigkeiten, verglichen mit 18 Prozent in Frankreich. Nur vier Prozent der C-Level-Führungskräfte in beiden Ländern wollen 50 Prozent oder mehr ihres IT-Budgets dafür verwenden. Ohne stärkere finanzielle Verpflichtungen bleibt digitale Souveränität eher eine Absichtserklärung als eine konkrete strategische Richtung.
Deutschland punktet bei der Umsetzungsgeschwindigkeit
Einen Lichtblick bietet Deutschland bei der Implementierung großer IT-Projekte. 46 Prozent der deutschen Firmen schließen große IT-Projekte innerhalb eines Jahres ab, verglichen mit 42 Prozent in Frankreich. Deutschland führt auch bei der Umsetzung von Backend-Transformationen wie ERP- und CRM-Überholungen, Cloudmigration und agilen Initiativen. 18 Prozent berichten von ERP- und CRM-Projekten sowie 14 Prozent von Cloudmigrationen, während es in Frankreich jeweils nur zwölf Prozent sind.
Dennoch dauern viele Transformationen über ein Jahr – ein Hinweis auf strukturelle Komplexität und den Bedarf an agilerer Ausführung. Die Studienergebnisse zeigen, dass IT-Transformationen oft auf Kerninfrastruktur und Plattformen abzielen, aber viele Projekte kämpfen mit mangelnder Agilität bei der Umsetzung.
Zusammenarbeit als Schlüssel zum Erfolg
Beide Länder erkennen effektive Zusammenarbeit zwischen Geschäfts- und Tech-Teams sowie externen Partnern als zentralen Treiber der Transformation. Deutsche und französische Unternehmen setzen auf strukturierte digitale Kollaboration und funktionsübergreifende Governance, jedoch mit stark variierenden Ansätzen und Reifegraden.
Französische Firmen bevorzugen Co-Innovation-Phasen mit Start-ups und digitale Ökosysteme zum Ideenaustausch. Deutsche Unternehmen fokussieren sich stärker auf standardisierte zentrale Plattformen und selbstgesteuerte agile Teams. Die Bandbreite der Ansätze zeigt sowohl Kreativität als auch die Notwendigkeit strukturierterer Best Practices.
Für beide Länder gilt: IT muss vom Kostenfaktor zum strategischen Antreiber werden. Anstatt Hunderte Millionen in strukturelle Transformationsprogramme zu stecken, sollten Unternehmen verstärkt in marktnahe, wertschöpfende Initiativen investieren. Die Zeit ist reif für gezielte Investitionen in Fähigkeiten, die neue Wertschöpfung durch KI und Digitalisierung ermöglichen.
Bild: Freepik.com
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