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Deutschland kann seinen IT-Fachkräftemangel selbst lösen
Der inflationäre Gebrauch des Begriffs Fachkräftemangel lässt den Eindruck entstehen, der IT-Jobmarkt sei wie leergefegt und Lösungen unerreichbar. Doch das Problem ist hausgemacht: Unternehmen könnten Personal finden, wenn sie nur etwas umdenken und mehr investieren würden.
Ein IMHO von Valentin Höbel
Der inflationäre Gebrauch des Begriffs Fachkräftemangel lässt den Eindruck entstehen, der IT-Jobmarkt sei wie leergefegt und Lösungen unerreichbar. Doch das Problem ist hausgemacht: Unternehmen könnten Personal finden, wenn sie nur etwas umdenken und mehr investieren würden.
In wohl keiner anderen Branche wird schon so lange und ausdauernd über den Fachkräftemangel lamentiert wie in der IT. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag betrachtet die Suche nach Fachkräften als eines der größten Probleme für IT-Firmen im Jahr 2017. Firmen beklagen die langen Zeiträume vom Schalten der Stellenanzeige bis zur Einstellung eines geeigneten Kandidaten. Laut einer Studie von Ende 2016 sind bundesweit rund 51.000 Stellen im IT- und Telekommunikationsbereich unbesetzt. Lösungsansätze kommen inmitten der Jammerei viel zu kurz. Dabei liegen sie auf der Hand: Wir müssen mehr und besser ausbilden - und mehr Frauen für einen Job in der Branche interessieren!
Mehr selbst mehr ausbilden
Wer auf dem freien Stellenmarkt kein geeignetes Personal findet, kann entweder Fachkräfte von anderen Unternehmen abwerben oder selbst ausbilden. Im Jahr 2014 gab es laut dem Branchenverband Bitkom deutschlandweit über 40.000 Auszubildende in den IT-Berufen, rund 21.600 schlossen die Ausbildung erfolgreich ab. Im Jahr 2016 war Fachinformatiker mit 12.093 Neuabschlüssen der Beruf, in dem zahlenmäßig am stärksten ausgebildet wurde. Es gibt dabei die Fachrichtungen Anwendungsentwicklung und Systemintegration.
Dem gegenüber standen im selben Zeitraum mehr als 346.000 Unternehmen mit je zehn sozialversicherungspflichtigen Angestellten oder mehr.
Die Statistik verrät nicht, welche dieser Unternehmen ausbilden können, dürfen oder überhaupt Bedarf an Informatikern haben. Dennoch muss die Frage erlaubt sein: Ist hier noch Luft nach oben? Können nicht noch mehr Firmen selbst ausbilden und die Fachkräfte von morgen selbst heranziehen? Sicher, einen Ausbilder und Ausbildungsplätze bereitzustellen bedeutet, Geld in die Hand zu nehmen und viel Geduld aufzubringen.
Je nach Unternehmen und Tätigkeit können Azubis während der Ausbildungszeit nicht immer produktiv mitarbeiten und entlasten die Belegschaft daher oft erst nach Ausbildungsabschluss. Aber: Übernommene Auszubildende kennen zum Dienstantritt immerhin Unternehmensstrukturen und Arbeitsweisen und gegebenenfalls auch ihre Aufgabengebiete. Und sie haben genau das gelernt, was das Unternehmen braucht.
Frauen an die Tastatur
Ein Blick auf die Geschlechterverteilung in Studium und Ausbildung lässt ebenfalls erahnen, dass längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden: Gerade mal 7 Prozent aller IT-Azubis sind weiblich. Und unter zehn Absolventen eines Informatikstudiengangs finden sich statistisch gesehen maximal zwei Frauen. Die Ursachen für diese Schieflage mögen vielfältig sein: Viele Frauen trauen sich womöglich keine Tätigkeit in der IT zu oder haben schlicht zu wenig Berührungspunkte und zu wenige Vorbilder. Hinzu kommen womöglich noch die gängigen Klischees und Vorurteile, die allerdings bei beiden Geschlechtern vorherrschen.
Hierzulande gibt es durchaus Bemühungen, Mädchen und Frauen für IT und Naturwissenschaften zu begeistern: Der Girl's Day etwa zielt auf die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ab - Unternehmen zeigen fachübergreifend an einem jährlichen Aktionstag Gruppen mit weiblichen Teilnehmern, wie sie sich das spätere Berufsleben vorstellen können. Die Initiative erlebe IT des Branchenverbands Bitkom organisiert Kurse und Workshops für Schüler, in denen Berührungsängste abgebaut werden sollen.
Diese und andere Initiativen setzen vor allem in Schulen an, was richtig ist. Eine andere Möglichkeit bleibt allerdings weitgehend ungenutzt: In Deutschland existieren rund 900 Volkshochschulen, die jedes Jahr neun Millionen Kursbuchungen verzeichnen können. Zwar gilt die VHS als Ort der Erwachsenenbildung, längst aber nehmen auch Kinder und Jugendliche zum Beispiel an Sprachkursen teil. Warum wird der Standortvorteil von VHS-Einrichtungen nicht für ein gezieltes Angebot für Mädchen und Frauen genutzt? Regelmäßige Vorträge und Workshops könnten helfen, Vorurteile abzubauen und das Interesse für die IT zu steigern. Computerkurse gibt es bereits, der Sprung dürfte daher nicht allzu groß sein.
Besser ausbilden und guten Leuten mehr bieten!
Die meisten Kurse beziehungsweise Lehrgänge zu IT-Themen finden vermutlich in der Berufsschule statt. Eine berufliche Informatikerausbildung besteht in Deutschland aus zwei Teilen: Der Betrieb führt in den beruflichen Alltag ein und vermittelt Praxiswissen, während Berufsschulen die breite Theorie lehren. Da die Klassen meist gemischt sind und damit unter anderem aus ehemaligen Hauptschülern, Realschülern und Gymnasiasten bestehen, muss das schulische Niveau entsprechend angepasst sein. Alle Auszubildenden müssen mitgenommen werden und die gleichen Chancen erhalten. Dabei ist die Ausbildung gespickt von so mancher Kuriosität: Der Sportlehrer übernimmt schon mal den Java-Kurs, Quereinsteiger aus der Elektrik lehren Datenbanksysteme oder Active Directory.
Auch der Unterrichtsstoff ist nur bedingt auf der Höhe der Zeit: Da Informatiker-Azubis in der Berufsschule keine Fachrichtung wählen können (zum Beispiel Datenbanken, Linux oder Windows), werden sie möglichst breit unterrichtet. In der Folge lernen angehende Linux-Systemadministratoren ein Jahr lang die Verwaltung von Active-Directory-Installationen, während angehende Netzwerk-Profis sich monatelang mit relationalen Datenbanksystemen herumschlagen müssen.
Das System der dualen Ausbildung wird viel gelobt und viele Länder wollen das Konzept übernehmen. Berufe in der IT unterliegen allerdings einem starken Wandel, so dass hauptberufliche Lehrkräfte kaum die Chance haben, über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg aktuelles Fachwissen zu vermitteln. Bei der Ausbildung für Bürokaufleute oder Steuerfachanwälte sind die Anforderungen anders, so dass die duale Ausbildung durchaus greift und regelmäßige Weiterbildungen für die Berufsschullehrer ausreichen.
Mehr bieten als nur Arbeit
Angehenden Fachinformatikern wäre besser geholfen, wenn Schulen mit Unterstützung der Wirtschaft mehr Fachrichtungen anbieten könnten. Warum nicht auch Firmen mit ins Boot holen und sie Teile des Unterrichts gestalten lassen? Systemhäuser mit Aufträgen aus der Wirtschaft können sicher Themen lehren, die viele Lehrkräfte nicht mal im Lehrbuch finden werden. Für diesen Lösungsansatz müssten allerdings auch die Firmen bereit sein, ein paar Mal im Jahr eigenes Personal für Fremdunterricht abzustellen. Diese Investition lohnt aber - schließlich wäre jede Unterrichtsstunde auch (nicht ganz unfreiwillige) Eigenwerbung für den Betrieb.
Firmen können Informatikberufe auch schmackhaft machen, indem sie ihren Angestellten mehr bieten als nur Arbeit. Weiterbildungen, Team-Events, ein Home-Office-Angebot zur Vereinbarung von Familie und Beruf oder großzügig ausgelegte Pausenbereiche mit Spielekonsole und Kickertisch können mit dafür ausschlaggebend sein, dass sich die Fachkräfte von morgen für einen Beruf in der IT entscheiden.
Fazit
Das Gejammer um fehlende Fachkräfte ist groß, aber das Problem ist teils hausgemacht. Gerade die Wirtschaft lässt selbst im Jahr 2017 immer noch zahlreiche Möglichkeiten verstreichen, für ihr eigenes Personal zu sorgen oder Frauen für die IT zu begeistern. Wenn Firmen bereit sind, mehr zu investieren und Berufsschulen sich für externe Dozenten öffnen, kann der Fachkräftemangel zumindest abgemildert werden.
IMHO ist der Kommentar von Golem.de. IMHO = In My Humble Opinion (Meiner bescheidenen Meinung nach)
Valentin Höbel arbeitet derzeit als Senior Consultant IT Infrastructure für die open*i GmbH aus Stuttgart. Von 2007 bis 2010 hat er eine Ausbildung als Fachinformatiker für Systemintegration in München absolviert.