Bullshit-Jobs: Wie sinnlose Arbeit die IT-Branche durchdringt
Trotz hoher Gehälter und angesehener Positionen leisten viele IT-Jobs keinen echten Beitrag für Unternehmen und Gesellschaft. Berichte über ineffiziente Strukturen und überflüssige Tätigkeiten werfen dringende Fragen zur Zukunft der Arbeit auf.
Manche Jobs haben kaum einen Sinn – und trotzdem einen festen Platz in der Arbeitswelt. Seit der amerikanische Kulturwissenschaftler David Graeber in dem Buch Bullshit Jobs (2018) die These aufstellte, dass 37 Prozent aller Arbeitsplätze überflüssig seien, nehmen die Berichte über unproduktive Jobs zu, speziell im IT-Sektor. Ob die Zahlen stimmen oder nicht, es bleibt die Frage, warum es bestimmte Jobs überhaupt gibt und warum sie trotz der Sinnlosigkeit ausgeübt werden. Ein Überblick.
Was sind Bullshit-Jobs?
Laut David Graeber sind Bullshit-Jobs Arbeitsplätze, deren Existenz selbst die Beschäftigten nicht rechtfertigen können. Die Jobs sind oft hoch angesehen und gut bezahlt, aber letztlich bedeutungslos. Ein entscheidendes Merkmal ist, dass die Beschäftigten spüren, dass ihre Arbeit keinen echten Beitrag für die Gesellschaft leistet. Im Gegensatz dazu gibt es zahlreiche unter- und unbezahlte Tätigkeiten, wie die Pflege von Angehörigen oder ehrenamtliche Arbeit, die einen erheblichen gesellschaftlichen Wert erzeugen, aber in unserem aktuellen Wirtschaftssystem nicht angemessen gewürdigt werden.
Sinnbefreite Tätigkeiten in der IT
Aktuell macht insbesondere die IT-Branche durch Berichte über unnütze Arbeit auf sich aufmerksam. Die Pandemie und damit verbundene Einstellungswellen haben zu einer Praxis der Überanstellung von Tech-Talenten geführt, die nun in Entlassungswellen mündet. David Ulevitch, Partner bei der Venture-Capital-Firma Andreessen Horowitz, äußerte in einem Interview, dass "die Hälfte der Büroangestellten bei Google wahrscheinlich keine echte Arbeit verrichten." Ulevitch beschreibt dies als symptomatisch für große Tech-Unternehmen, die über Jahre Milliarden Dollar für Projekte ausgaben, die ins Leere liefen. Ähnliche Kritik äußerten auch andere Investoren wie Marc Andreessen und Keith Rabois.
Ein Beispiel verdeutlicht dieses Phänomen: Brit Levy, eine ehemalige Meta-Mitarbeiterin, berichtete auf TikTok, dass sie in eine Position versetzt wurde, in der sie und ihre Kollegen kaum Arbeit hatten. Diese Praxis des Hordings führt dazu, dass Mitarbeiter „wie Pokémon-Karten“ gehortet werden, um sie der Konkurrenz vorzuenthalten. Levy beschreibt ihre Erfahrung als demotivierend und schädlich für ihre berufliche Entwicklung, da sie keine neuen Fähigkeiten erlernen oder an Projekten arbeiten konnte.
Levy erklärte, dass sie und ihre Kollegen oft damit beschäftigt waren, in der Metaverse nach Fehlern zu suchen oder einfach nur darauf zu warten, dass ihnen Aufgaben zugewiesen wurden. Viele Mitarbeiter verbrachten Zeit damit, Onlinekurse zu absolvieren oder Dogfooding zu betreiben, indem sie das Metaverse nach Bugs durchsuchten, um beschäftigt zu wirken.
Weitere Beispiele zeigen, dass dieses Problem in der IT-Branche weit verbreitet ist. Emmanuel Maggiori, ein freiberuflicher Softwareingenieur, berichtete von Projekten, bei denen er Wochen damit verbrachte, auf Arbeit zu warten oder triviale Aufgaben auszuführen, die nur wenige Minuten dauerten. Er erklärte, dass Kollegen oft Zeit mit Tätigkeiten wie Scuba Diving während der Arbeitszeit oder dem Anschauen von Onlinekursen verbrachten, wenn sie nichts zu tun hatten. Eine Umfrage auf der Karriereplattform Blind bestätigte diese Erfahrungen: 71,3 Prozent der befragten Softwareingenieure gaben an, sechs Stunden oder weniger pro Tag produktiv zu arbeiten.
Kategorien von Bullshit-Jobs
Neben den von der IT-Industrie selbst geschaffenen Ursachen für überflüssige Aktivitäten gibt es fünf von Graeber identifizierte allgemeine Kategorien, die in Unternehmen gewollt oder ungewollt entstehen können:
- Flunkies: Diese Beschäftigten sind dazu da, höher Gestellte gut aussehen zu lassen. Beispiele sind überflüssige Assistenten oder Empfangspersonal ohne nennenswerte Aufgaben.
- Goons: Diese Jobs bestehen, weil andere ähnliche Stellen geschaffen haben. Beispiele sind Telemarketer, PR-Leute oder Firmenanwälte, die oft nur aus Konkurrenzgründen existieren.
- Duct Tapers: Diese Mitarbeiter beheben Probleme, die durch bessere Organisation oder Planung gar nicht erst entstehen müssten. Ein Beispiel ist das ständige Korrigieren von Fehlern, die vermeidbar wären.
- Box Tickers: Sie füllen formell Anforderungen aus, die oft keinen echten Nutzen haben, wie Umweltinitiativen, die nur dem Image dienen.
- Taskmasters: Diese Personen delegieren Aufgaben, die oft unnötig sind, oder schaffen sogar neue, sinnlose Jobs. Ein Beispiel sind Lehrer, die mehr Zeit mit Bürokratie verbringen als mit dem Lehren.
Insbesondere Flunkies und Taskmasters scheinen den Berichten der letzten Jahre zufolge stark in der IT-Branche vertreten zu sein, allen voran Big Tech, wie Beispiele von Google und Meta zeigen. Mitarbeiter, die lediglich administrativen Aufgaben nachgehen oder Dogfooding betreiben, sind symptomatisch für eine Struktur, die ineffizient und ressourcenverschwendend ist.
Psychologische, wirtschaftliche und kulturelle Auswirkungen
Wie Graeber in seinem Buch beschreibt, kann der Frust, keine sinnvolle Wirkung in der Welt zu haben, das Selbstwertgefühl erheblich beeinträchtigen. Auch David Ulevitch weist darauf hin, dass irrelevante Jobs in großen Unternehmen wie Google nicht nur ineffizient sind, sondern auch Ressourcen verschwenden, die besser genutzt werden könnten. Solche Jobs können die moralische und wirtschaftliche Struktur von Unternehmen und Gesellschaften untergraben, da sie Mittel von produktiveren Tätigkeiten abziehen. Der wirtschaftswissenschaftliche Mainstream hat sich laut Graeber von der Arbeitswertlehre entfernt, was die Vermehrung von Bullshit-Jobs begünstigte. Arbeit sollte als Dienst an den Mitmenschen verstanden werden, um sinnvolle von sinnlosen Jobs zu unterscheiden. Das wird es häufig nicht, was dazu führt, dass viele Positionen in einem Unternehmen ohne Infragestellung von den meisten einfach akzeptiert oder von Nutznießern gerechtfertigt werden.
Lösungsansätze und die zukünftige Rolle neuer Technologien
Ob eine Arbeit sinnstiftend ist, muss Graeber zufolge individuell entschieden werden. Bei empfundener Sinnlosigkeit gibt es verschiedene Ansätze: Ein Jobwechsel kann innerhalb desselben Bereichs oder ein kompletter Berufswechsel durch Weiterbildungen und Umschulungen unterstützt werden. Und: Nicht jede als sinnlos empfundene Arbeit muss tatsächlich sinnlos bleiben. Es hilft, die Verbindung zwischen Arbeit und persönlichen Werten zu suchen und den Beitrag der eigenen Tätigkeit in einem größeren Zusammenhang zu erkennen. Auch die Konzentration auf sinnstiftende Momente im Arbeitsalltag und deren Ausbau können helfen. Wenn berufliche Veränderungen nicht möglich sind, können sinnstiftende Tätigkeiten außerhalb des Berufslebens, wie ehrenamtliche Tätigkeiten oder soziales Engagement, die fehlende Sinnhaftigkeit der Arbeit kompensieren und ein Gefühl der Erfüllung vermitteln.
Auf gesellschaftlicher Ebene wird das Phänomen ohne tiefgreifenden Wandel schwer zu bändigen sein. Um Menschen zu ermöglichen, sinnlose Jobs aufzugeben und sich sinnvolleren Tätigkeiten zu widmen, schlägt Graeber ein bedingungsloses Grundeinkommen als langfristige Lösung vor. Investoren wie Ulevitch fordern eine Rückbesinnung auf produktive Arbeit und die Reduktion unnötiger Arbeitsplätze, um die Effizienz und Wertschöpfung zu steigern.
Die Rolle von neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz und Robotik und deren disruptives Potenzial wurde in diesem Zusammenhang bisher wenig diskutiert. Die Automatisierung von repetitiven Prozessen könnte eine Verdichtung von Verantwortlichkeiten, Aufgabenbereichen und Tätigkeiten mit sich bringen, die redundante Positionen an sich redundant machen könnte. Auf der anderen Seite könnte die zunehmende Auslagerung von Arbeit an Maschinen eine zunehmende Rechtfertigung von menschlicher Daseinsberechtigung in Unternehmen zur Konsequenz haben, die unproduktive Arbeitsstellen nicht nur fördert, sondern gesellschaftlich normalisiert.
Öffentliche Resonanz und Relevanz
Die breite Reaktion auf Graebers Begriff zeigt ein großes Bedürfnis nach einer Sprache, um sinnlose Arbeit zu benennen. Die mediale und zunehmend kulturelle Auseinandersetzung zeigt weltweit ein großes öffentliches Interesse für das Thema und für den Wunsch nach Veränderungen. Die Notwendigkeit, über die Nützlichkeit von Arbeit nachzudenken und sich für sinnvollere Beschäftigungen einzusetzen, rückt in Zeiten steigender Belastungswahrnehmung und sinkender Kompensation immer mehr in den Vordergrund.
David Graebers Theorie von Bullshit-Jobs wirft wichtige Fragen über die Nützlichkeit und Sinnhaftigkeit vieler moderner Arbeitsplätze auf. Die psychologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen sinnloser Arbeit sind erheblich und verlangen nach einer Neubewertung der Werte in der Arbeitswelt. Ob durch ein bedingungsloses Grundeinkommen oder andere Maßnahmen – es ist an der Zeit, über die Art und Weise nachzudenken, wie Arbeit gestaltet und bewertet wird.
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