Betriebsräte in der Tech-Branche: Freunde sein reicht manchmal nicht
(Bild: Matthew Simmons/Getty Images)
Ein Bericht von Daniel Ziegener veröffentlicht am
Tech-Startups stehen für flache Hierarchien und Spaß am Kickertisch, echte Mitbestimmung wird aber bisweilen unterdrückt. Deshalb gibt es vielerorts wieder den Wunsch nach einem Betriebsrat.
Nicht nur in solchen großen Unternehmen wurden 2020 Betriebsratswahlen abgehalten, auch in kleineren passierte das - zum Beispiel bei Massive Miniteam aus Köln. Es ist erst das zweite Entwicklungsstudio der deutschen Games-Branche mit einem Betriebsrat. Bisher war Bigpoint hierzulande der einzige Vertreter in einer Industrie, in der immer wieder über schlechte Arbeitsbedingungen berichtet wird.
Co-Working beim Co-Working-Unternehmen
Auch das Berliner Unternehmen Cobot hat seit kurzem einen Betriebsrat. Dessen gerade einmal zwölf Angestellten begannen Anfang des Jahres mit Gesprächen über so eine Gründung, erzählt Sam Bender, der bei dem Unternehmen für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Diese Aufgabe übernimmt er unter dem Twitter-Account @CobotWorkers nun auch für den Betriebsrat. "Wir sind mit vielem in unserer Firma sehr glücklich", sagt er, "aber es gibt immer Bereiche, die verbessert werden könnten."
Wie viele Mitglieder ein Betriebsrat hat, hängt von der Größe der Belegschaft ab. Im Fall von Cobot mit seinen zwölf Angestellten ist das eine Person. Schon ab fünf wahlberechtigten Arbeitnehmern ist die Gründung möglich, sollte sich die Belegschaft dazu entscheiden - und die Geschäftsführung nicht versuchen, die Wahl zu verhindern.
"Unser Management hat sich rausgehalten", sagt Bender. "Sie haben dem Wahlsieger gratuliert und signalisiert, dass sie selbst glücklich darüber sind." Der Betriebsrat könne beiden Seiten bei der Kommunikation über mögliche Probleme am Arbeitsplatz mehr Struktur bieten. Denn mit dem Betriebsrat gibt es für die Belange der Belegschaft nun eine offizielle, durch eine Wahl legitimierte Ansprechperson.
Corona-Krise als Auslöser
Cobot entwickelt Software zur Verwaltung von Coworking Spaces und war vom Lockdown im Frühjahr direkt betroffen. Die Erfahrung, über den Sommer in Kurzarbeit zu gehen, war laut Sam Bender der finale Anstoß, die Gründung eines Betriebsrates anzustreben.
"Wir hatten das Gefühl, dass zwischen uns und der Geschäftsführung nicht ausreichend Informationen ausgetauscht wurden", sagt er. Die Bedenken hätten sich zwar schnell ausräumen lassen. Mit der Wahl einer direkten Vertretung der Angestellten wollte man aber nicht warten, bis es zu einer echten Notsituation kommen würde.
Abstands- und Hygieneregeln waren auch ein Problem für die Gründung selbst. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht dafür Präsenzveranstaltungen vor. "Wir haben das strengstmögliche Hygienekonzept erstellt", sagt Bender.
Bei Cobot wurde die Wahl von der Geschäftsführung zugelassen. Bei N26 versuchte Firmengründer Valentin Stalf hingegen, die Wahlveranstaltung per einstweiliger Verfügung zu verhindern. In der Begründung zweifelte er das Hygienekonzept an. Stattfinden konnte die Veranstaltung dennoch wie geplant, auch wegen der Unterstützung der Gewerkschaften Verdi und IG Metall. Mittlerweile sind die Betriebsräte bei N26 erfolgreich gewählt.
Gegner des Betriebsratsgedankens sagen, ein bürokratischer Betriebsrat passe nicht zu einer agilen Unternehmenskultur. Zudem legen viele Startups großen Wert auf freundschaftliche Atmosphäre und flache Hierarchien. Viele Unternehmen bieten lieber interne Anlaufstellen, an die sich Angestellte bei Problemen wenden können.
Oliver Hauser von Verdi hält dagegen, dass solche Alternativen nur so lange funktionieren, bis es tatsächlich zu einer Krise kommt. "Ein Chef kann anbieten, dass er immer eine offene Tür hat, aber dabei wird verschwiegen, dass ein Betriebsrat ein echtes Recht auf Mitbestimmung bietet", sagt er. Nur ein offizieller Betriebsrat bringe echte Rechte mit sich, zum Beispiel wenn es um die Einführung von Kurzarbeit geht.
Für die Gewerkschaft Verdi gibt es hier keine Alternativen. "Paypal wollte vor zwei Jahren den Standort in Berlin schließen", erzählt Hauser. "Da kann man ohne Betriebsrat nichts machen, auch wenn der Chef eine offene Tür hat."
Der Standort hatte jedoch zuvor einen Betriebsrat gegründet. Dieser habe die Schließung verzögert und zumindest Abfindungsregelungen für die Betroffenen bewirken können. Auch Sam Bender sieht in der Nähe zwischen Belegschaft und Geschäftsführung eine mögliche Ablenkung von echten Problemen. "Häufig ist diese Betonung von Zusammenarbeit und Freundschaft nur dazu da, um Praktiken aus anderen Unternehmen zu verdecken", sagt er. "Auch wenn es manchmal wirklich stimmt, dass sich das Management als Kollegen sieht."
Graswurzelbewegung und internationaler Widerstand
Abseits großer nationaler Gewerkschaften schließen sich immer mehr Angestellte aus der Branche in selbstorganisierten Gruppen wie der Tech Workers Coalition oder Game Workers United zusammen. Sie setzen sich für die speziellen Belange jüngerer, modernerer Industrien ein, sind international vernetzt und oft basisdemokratisch organisiert.
Dabei gibt es häufig folgendes Problem: Viele Angestellte von Tech-Unternehmen und Spieleentwicklern kommen nicht aus Deutschland und sind somit mit dem deutschen Arbeitsrecht nicht vertraut. Betriebsräte oder vergleichbare Works Councils sind vor allem in europäischen Ländern verbreitet, in den USA hingegen gibt es kein direktes Gegenstück.
Das war auch beim kleinen Team von Cobot ein Problem. "Die größten Schwierigkeiten gab es wegen des Mangels an Materialien auf Englisch", sagt Sam Bender. Englisch sei die Betriebssprache, Informationsmaterial von den Gewerkschaften aber größtenteils auf Deutsch verfügbar. Hier versuchen die internationalen Gruppen eine Brücke zu schlagen, indem sie in Seminaren die Unterschiede zwischen nationalen Gesetzen erklären und Materialien übersetzen.
Neue Arbeitnehmerbewegungen sind das Ergebnis eines kulturellen Umbruchs im Technologiesektor. Der Druck auf die Branche steigt dabei auch von außen.
Vor allem große Social-Media-Plattformen wie Facebook stehen wegen der Verbreitung von Falschinformationen, Hassnachrichten und Verschwörungsideologien zunehmend in der Kritik. Auch in der Spielebranche werden Probleme wie struktureller Sexismus oder die als "Crunch" bezeichnete Überstundenkultur immer offener thematisiert.
Das passiert auch, weil die Angestellten ihre Arbeitgeber selbst kritisch hinterfragen. In den USA kam es zuletzt zu mehreren Walkouts. Diese kurzen, öffentlichkeitswirksamen Streiks sind eine Form des Protests, zum Beispiel gegen schlechte Arbeitsbedingungen. So gingen bei Google und League-of-Legends-Entwickler Riot Games jeweils Hunderte bis Tausende Angestellte gegen Sexismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz auf die Straße.
"Tech Worker sehen sich selbst als gut bezahlte, gut ausgebildete und ständig gefragte Arbeitnehmer", sagt Sam Bender. Durch diese gute Position auf dem Arbeitsmarkt sei es für sie schwerer, Gründe zur Organisation zu erkennen. Aber das ändere sich. "Viele sind sich der Rolle bewusst geworden, die sie bei der Ethik ihrer Produkte und den Machtstrukturen am Arbeitsplatz einnehmen", sagt Bender.
Auch die Tech-Industrie kann von Krisen getroffen werden
"Der Tech-Industrie ist klar geworden, dass auch sie von Krisen getroffen werden kann", sagt Oliver Hauser. Gerade in den USA hat es aus Sicht des Verdi-Sekretärs nach der Wahl von Präsident Donald Trump eine Art Aufwachen gegeben. Mitarbeitende von Microsoft haben sich etwa geweigert, an Aufträgen für die Einwanderungsbehörde ICE mitzuarbeiten.
Dass die Belegschaft von N26 gegen die Bemühungen ihrer Geschäftsführung erfolgreich einen Betriebsrat gründen konnte, ist auch ihrer erhöhten Sichtbarkeit zu verdanken. Über die sozialen Medien haben sie viel Zuspruch erhalten. Manche Kundinnen und Kunden von N26 kündigten aus Solidarität sogar ihre Konten. Zalando bewirbt seinen Betriebsrat mittlerweile sogar als Vorteil. "Offene Kommunikation und Beteiligung sind zentrale Elemente der Zalando-Unternehmenskultur", schreibt das Unternehmen. Auch Firmen wie Bigpoint berichten, dass sich seit der Gründung das Betriebsklima verbessert und die Fluktuation verringert habe.
"Tech Worker merken, dass die Freundschaft mit ihren Bossen nur so weit reicht, wie das Management es zulässt", sagt Sam Bender von Cobot. "Ohne Gewerkschaften oder Betriebsräte sind sie von ihnen abhängig, egal wie gut sie sich verstehen." Mit wachsendem Bewusstsein über diese Abhängigkeit entdecken auch junge Angestellte die alten Werkzeuge des deutschen Arbeitsrechts wieder - und könnten den Ruf des Betriebsrats als sperrigem Bürokratiemonster damit einem Update unterziehen.