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Wenn der Arbeitsplatz so anonym ist wie das Internet selbst
(Bild: Christopher Furlong/Getty Images)
Ein Erfahrungsbericht von Marvin Engel veröffentlicht am
Homeoffice verspricht Freiheit und Flexibilität für die Mitarbeiter und Effizienzsteigerung fürs Unternehmen - und die IT-Branche ist dafür bestens geeignet. Doch der reine Online-Kontakt bringt auch Probleme mit sich.
Die IT-Branche bringt beste Voraussetzungen mit sich, um Mitarbeitern das Arbeiten von zu Hause zu ermöglichen: das Know-how, die Technik und verschiedenste Kommunikationsmittel. Arbeitnehmer erhoffen sich durch das Homeoffice mehr Flexibilität bei der Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit, Arbeitgeber können Kosten sparen und Studien zufolge sogar die Produktivität steigern. Das Homeoffice ist beliebt, neuen Studien zufolge setzen bereits vier von zehn Unternehmen darauf, Tendenz in den vergangenen Jahren steigend. Derzeit arbeitet die SPD daher sogar an einem Gesetzesentwurf zu einem Recht auf Arbeit von zu Hause aus. Doch ich weiß aus Erfahrung: Das Homeoffice hat seine Tücken.
Ich arbeite als freiberuflicher Projektmanager die meiste Zeit am heimischen Computer und stehe mit Auftraggebern und Kollegen überwiegend über Software und Tools wie Skype, Trello, Jira, Confluence, Microsoft Teams, Asana, exMeeting, Smartsheet, Google Drive, Whatsapp, Messenger, E-Mail und Telefon in Kontakt. In internationalen Teams funktioniert die Zusammenarbeit ohnehin nur so, der virtuelle Raum mit den Tools wird zum gemeinsamen Büro. Viele Meetings finden per Videokonferenz statt, so dass man sich zumindest über den Bildschirm regelmäßig sieht. Wir können uns gegenseitig den Monitor präsentieren und mit kollaborativen Tools gemeinsam an Inhalten arbeiten.
Etwas kommt trotzdem zu kurz: der persönliche Kontakt. Das ist nicht nur ungesund, sondern auch hinderlich.
Warum geht hier nichts voran?
Als ich in einem internationalen Team über mehrere Monate und Standorte hinweg an einem Projekt arbeitete, war die Kommunikation zäh und schwierig. Für Feedbackschleifen wurden aufwendig Screenshots zusammengebaut und unzählige Dateien hin- und hergeschickt, die Stimmung war angespannt, das war in jedem Online-Meeting zu spüren. Die Beteiligten wurden von einer Lethargie erfasst, die man durchaus als Bremsklotz dieses Projektes bezeichnen konnte. Aber warum?
Das wurde uns erst klar, als wir uns bei einem Meeting persönlich begegneten. Es brauchte nur einen arbeitsreichen Nachmittag mit handfesten Ergebnissen und einen lustigen gemeinsamen Abend mit guten persönlichen Gesprächen und Augenkontakt, um ein zusammengewürfeltes Team von Entwicklern, Projektmanagern, Finanzverantwortlichen und Praktikanten in die Motivationsspur zurückzubringen. Sogar die Online-Kommunikation lief fortan wesentlich effizienter und freundlicher. Man kannte sich eben.
Seinem Gegenüber zur Begrüßung die Hand zu geben, gemeinsam zu lachen, wenn der Beamer mal wieder nicht funktioniert, und nach dem Meeting zusammen noch einen Kaffee oder abends ein Bier trinken zu gehen - das können die besten Tools nicht ersetzen. Ich habe oft das Gefühl, dass die Kosten für diese Art von Treffen von den Projektverantwortlichen gescheut werden. Warum persönlich treffen, wenn man alle Meetings auch online abhalten kann? Darum, sage ich.
Wohl jeder kennt einen Freund oder eine Freundin, deren Nachrichten sich komplett anders lesen als das gesprochene Wort - sei es, dass jemand gerne schreibt und ganze Romane statt einfacher Antworten formuliert oder im Gegenteil das Schreiben überhaupt nicht mag und immer nur kurze und knappe Antworten gibt. In beiden Fällen sind Missverständnisse unvermeidbar. Eine US-Studie belegt sogar, dass bei der reinen Online-Kommunikation Argumente eher abgelehnt werden. Der Ton macht beim geschriebenen Wort nämlich erst einmal gar keine Musik.
Hat man sein Gegenüber schon einmal getroffen und in verschiedenen Situationen persönlich erlebt, kann man das geschriebene Wort viel besser deuten. Das bestätigen mir auch Tobias Gurski und Jonas Gerlinger, Geschäftsführer der Firma Instant Data. Sie sind der Meinung, dass ein moderner Arbeitgeber gar nicht mehr bestehen könne, ohne die Möglichkeit des Homeoffice anzubieten. Sie setzen daher auf verstärkte Kommunikation. Zwar könne man einfache Nachfragen auch stets online oder per Telefon klären, für das Teamgefühl und die richtige Einschätzung seines Gegenübers helfe der persönliche Kontakt jedoch enorm, so Gurskis Erfahrung.
Nicht selten entstehen am Arbeitsplatz sogar echte Freundschaften, die über das Arbeitsverhältnis hinaus existieren. Aus vielen meiner Projekte sind Beziehungen entstanden, auf die ich gerne zurückkomme, um einen Rat zu suchen, mich auszutauschen oder die Freizeit gemeinsam zu gestalten.
Homeoffice kann krank machen
Fehlen solche sozialen Kontakte, leidet auch die Gesundheit: Eine Studie der United Nations International Labour Organization hat ergeben, dass alleinige Remote-Arbeit zu erhöhtem Stress und Schlafstörungen führen kann. Eine über zwei Jahre angelegte Untersuchung der Stanford-Universität zeigte, dass signifikante Produktivitätssteigerungen zwar möglich sind, im Gegenzug jedoch der soziale Kontakt der Arbeitnehmer im Homeoffice leidet. Über die Hälfte der Probanden entschied sich am Ende der Zeit entsprechend wieder für die Arbeit im Büro, weil sie sich bei reiner Heimarbeit sozial isoliert fühlten.
Man muss das Homeoffice aber nicht gleich ganz aufgeben. Es hilft schon, zumindest am Anfang jedes Projekts ein persönliches Treffen zwischen den Beteiligten zu organisieren - und wenn es nur eine gemeinsame Zielvereinbarung oder ein Workshop zur Definition der kommenden Zusammenarbeit ist. Das schafft Vertrauen und es entsteht oftmals eine Verbindung, auf die man dann auch online zählen kann. Wenn das bei einem sehr internationalen Projekt gar nicht möglich ist, rate ich zu einer Online-Kennenlernrunde, in der jeder auch ein paar persönliche Dinge erzählen kann und bei der es noch nicht konkret um die Inhalte der Arbeit gehen muss.
Im Arbeitsalltag ist die gute Mischung entscheidend. Wenn der eigene Arbeitsplatz so anonym ist wie das Internet selbst, nimmt auch die emotionale Bindung an den Arbeitgeber und damit die eigene Motivation ab. Missverständnisse entstehen und die Kommunikation wird zäh und unbefriedigend. Andererseits führen zu wenig persönliche Freiheit am Arbeitsplatz und ein reines Absitzen von Stunden ebenfalls zu Unzufriedenheit und haben damit den gleichen Effekt.
Arbeitgeber müssen also zwischen beidem abwägen. Ich habe viele Unternehmen kennengelernt, die keine klaren Regelungen für die Mitarbeiter im Homeoffice haben. Einen Tag im Monat kann sich der Mitarbeiter frei aussuchen. Oder: "Nur, wenn es nicht anders geht". Oder "bei leichter Krankheit" (was das genau bedeuten soll, weiß ich bis heute nicht). Dazu kommt, dass Führungskräfte oft nicht jedem Mitarbeiter das Homeoffice gleichermaßen zutrauen.
Viele Teamleiter und Vorgesetzte gehen davon aus, dass Mitarbeiter, die eher eine straffe Führung benötigen und nicht ganz so selbstständig agieren, gar kein Homeoffice machen dürften. Das Gefühl des Kontrollverlustes ist bei diesen Vorgesetzten umso größer, je weniger Selbstständigkeit sie dem Angestellten zusprechen.
Nach meiner eigenen Erfahrung kommt es aber vor allem auf eine genau definierte Aufgabenstellung an. Wenn realistische Ziele gut kommuniziert werden, ist der Rest einfach, es braucht schlicht Vertrauen in den Mitarbeiter. Dass jeder einen eigenen Arbeitsrhythmus, ein eigenes Tempo, eigene Stärken, Schwächen und unterschiedliche Herangehensweisen an gestellte Aufgaben hat, sollte auch bei Homeoffice-Regelungen berücksichtigt werden.
Es schadet aber nicht, wenn Mitarbeiter sich darüber hinaus eigene Ziele setzen, wie: "Was will ich heute in welcher Zeit erreichen?" Oder: "Am Ende des Tages möchte ich ... geschafft haben." Oder: "Heute investiere ich ... Stunden in ..." Es gibt einige Apps und Gadgets, die beim Zeitmanagement helfen, zum Beispiel Timely oder den Timeular-Würfel.
Je konkreter die Ziele, desto freier die Arbeit im Homeoffice
Ich habe die Erfahrung gemacht: Je besser die Führungskultur ausgeprägt ist und je genauer man in der Kommunikation der Ziele und Ergebnisse ist, desto freier können die Regeln für das Homeoffice für die Mitarbeiter ausgelegt werden.
Instant Data hat entschieden, die Homeoffice-Regelungen ganz individuell auf die Mitarbeiter zuzuschneiden. Ein langjähriger Mitarbeiter hat zum Beispiel eine dauerhafte Remote-Regelung und ist nur noch selten im Büro, während die neuen Kollegen gerade in der Anfangszeit dazu angehalten werden, nah beim Team zu sitzen, um ein persönliches Verhältnis aufbauen zu können. Trotzdem möchten beide stets mit allen Mitarbeitern die beste Lösung gemeinsam finden, sagen Gerlinger und Gurski. Das ist vermutlich der beste Weg von allen.
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