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"Programmieren lernen tut weh": Portrait einer IT-Professorin
Roboter.
Sie ist jung und eine Frau. Beides sind nicht gerade günstige Voraussetzungen dafür, schon mit Mitte 30 auf eine volle Professur in der männerdominierten Robotik berufen zu werden. Aber: "Das war mein Plan", sagt Doris Aschenbrenner, um die es geht.
Auf ihrem Weg dahin hat sie für den Bundestag kandidiert und mit früheren Klassenkameraden ein Unternehmen gegründet, in dem Industrieautomatisierung ein Geschäftsbereich ist. Das Thema Robotik begeistert sie: "Roboter sind meine große berufliche Liebe. Ich finde sie cool und elegant."
Aschenbrenner, geboren 1985, stammt aus der Nähe von Coburg. Nach dem Abitur ging sie an die Uni Würzburg zum Informatikstudium, anschließend promovierte sie dort an einer Forschungseinrichtung. Roboter waren im Studium und in der Promotion ihr Schwerpunkt.
Schon im Gymnasium war für sie völlig klar, dass sie Maschinenbau oder Informatik studieren möchte. "Lange Zeit dachte ich, es kommt allein aus mir, dass ich mich für die Informatik entschieden habe", sagt Aschenbrenner. Allerdings sind ihre Eltern Realschullehrer, beide mit Nebenfach Informatik. "Das hat meinen Entschluss sicher begünstigt, zumal bei uns zu Hause schon immer Computer herumstanden."
Auf dem heimischen Atari hat Doris Aschenbrenner mindestens so intensiv Computerspiele gespielt wie ihre beiden Brüder. "Interessant ist nun, dass die beiden Jungs in sozialen Berufen tätig sind." Die drei Geschwister stellen Geschlechterklischees bei der Berufswahl auf den Kopf.
An der Uni war Aschenbrenner Senatorin in der Studierendenvertretung. 2012 hat sie für den Landtag und 2017 für den Bundestag kandidiert, jeweils für die SPD. In dem einen Jahr hat sie ihr Studium abgeschlossen, im anderen ihre Promotion.
Aschenbrenner ist auch politisch aktiv
Gewählt wurde sie beide Male nicht. "Ich habe kandidiert, weil die Politik die Digitalisierung nicht versteht", sagt Aschenbrenner und findet: Das sollte sie aber, um die richtigen Entscheidungen für morgen treffen zu können. "Leider gibt es in den politischen Gremien sehr wenige mit Fachkenntnissen dafür - aber auch Ausnahmen, wie Saskia Esken." Die Informatikerin ist gemeinsam mit Norbert Walter-Borjans Bundesvorsitzende der SPD und eine gute Freundin von Doris Aschenbrenner - und zwar nicht erst, seit Esken bekannt ist.
Aschenbrenner ist nach wie vor politisch aktiv. So ist sie Mitglied im Observatorium für künstliche Intelligenz, einer Initiative des Arbeitsministeriums, das die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt und die Gesellschaft untersucht. Die Politik als Wissenschaftlerin zu unterstützen, ist für sie momentan das richtige Maß ihrer politischen Aktivität.
Das Parlament aber ist für sie passé: Bei der Bundestagswahl haben die Bürger in ihrem Wahlkreis einen 67-Jährigen für Zukunftsthemen gewählt. Aschenbrenner hatte sich angeboten, aufdrängen wird sie sich nicht.
"In Delft habe ich plötzlich mit Frauen gearbeitet"
Glücklich ist, wer eine Alternative hat: Aschenbrenner konzentrierte sich auf ihre wissenschaftliche Karriere und ging ins Ausland, nach Delft. An der international renommierten Technischen Hochschule in den Niederlanden war sie ab 2017 zunächst wissenschaftliche Mitarbeiterin mit einem Stipendium, anschießend Post-Doc und wurde 2019 auf eine Tenure Track Professur in Robotik berufen. Das ist eine Art befristete Juniorprofessur mit Übernahmeoption in eine dauerhafte Anstellung.
In Delft habe ich plötzlich mit Frauen zusammengearbeitet, das kannte ich aus Deutschland überhaupt nicht." Hier beträgt der Anteil an Professorinnen in der Elektrotechnik und Informatik bescheidene 7,3 Prozent. Die internationale Wissenschaft ist wesentlich weiblicher.
Aschenbrenners wissenschaftliches Faible ist die Mensch-Roboter-Koproduktion. Heute verrichten Roboter ihre Tätigkeiten hinter einem Sicherheitszaun und wenn ein Mensch nur in dessen Nähe kommt, schaltet sich die Maschine sofort ab. "Weil die Roboter eingesperrt sind, ist Kollaboration kaum möglich."
Aschenbrenner forscht daran, wie eine räumlich nahe Zusammenarbeit mobiler Roboter mit Menschen möglich ist. In dieser Konstellation wird ein Leichtbau-Roboterarm auf einen Trageroboter gesetzt, der autonom durch eine Halle fährt und selbständig Tätigkeiten ausführt. "Einem Programm zu sagen, was es tun soll, ist cool. Noch viel cooler finde ich es, wenn das Programm auch noch etwas bewegt."
Allein mit der Informatik ist das nicht möglich, dafür braucht es unterschiedliche Disziplinen. Dass Universitäten interdisziplinär arbeiten können, erlebt Aschenbrenner in den Niederlanden in Forschung und Lehre. Dort besteht ihr Lieblingskurs Robotics Miner aus Teams von jeweils acht Studenten aus vier Disziplinen: Informatik, E-Technik, Maschinenbau und Design. Innerhalb eines Semesters baut jede Gruppe einen Roboter, der beispielsweise Kippen am Stand von Delft aufsammelt, die kleinen Muscheln aber liegen lässt. "Solche praktischen Projekte will ich in die deutsche Lehre einbringen." Die Möglichkeiten sind nun gegeben.
Denn im April wurde Doris Aschenbrenner auf eine volle Professur an der Hochschule Aalen berufen. Es ist eine W3-Stelle und somit eine absolute Ausnahme an einer Fachhochschule, wo Professoren üblicherweise nach W2 besoldet werden. In Aalen hat Aschenbrenner ihren Hauptjob, Delft könnte ein Nebenjob bleiben, um den Anschluss an die internationale Forschung zu behalten.
Der Posten in Aalen ist in mehrerlei Hinsicht besonders
Aktuell arbeitet sie einen Tag pro Woche für die TU Delft. Ihre monatliche Besoldung liegt mit rund 7.600 Euro etwa 1.000 Euro über der einer W2-Professur und noch mehr über der Vergütung in den Niederlanden, die in etwa der W1-Besoldung von Juniorprofessoren in Deutschland entspricht.
Ihr Wechsel ins schwäbische Aalen hat sich finanziell und privat gelohnt. "Ich sehe wieder Wald und Wiesen und viel weniger Menschen pro Quadratmeter." Sie lebt ländlich, wie früher, und ist ihrer Familie wieder näher, was ihr wichtig ist.
"Frauen brauchen eine höhere Frustrationstoleranz"
In Aalen liest Aschenbrenner an der Fakultät Maschinenbau und Werkstofftechnik etwa E-Technik, Industrie 4.0 und Vernetzung von Produktionsanlagen. All ihre anderen Veranstaltungen haben den Roboter als Anwendungsfall.
Gemeinsam mit einem Kollegen hat sie ein bedeutendes Forschungsprojekt an die Hochschule geholt, das sich mit 5G und adaptiver Robotik beschäftigt. "Ich bohre zwar schon auch gerne ganz tief in meinem Spezialgebiet, doch in der Robotik muss man auch nach links und rechts ausschwenken." Wer das nicht macht, erfüllt in interdisziplinären Projekten die Grundvoraussetzung, um zu scheitern. Brückenbauen hält Aschenbrenner für eine ihrer Stärken.
Außerdem bezeichnet sie sich als Nerd und ist Dauergast bei Veranstaltungen des Chaos Computer Clubs. Mitinhaberin einer Firma ist sie außerdem noch. Awesome Technologies ist ein IT-Unternehmen mit den Geschäftsbereichen Systemhaus, Telemedizin und Industrieautomatisierung.
2017 wurde die Firma gegründet, hat inzwischen 25 Mitarbeiter und macht eine Million Umsatz pro Jahr. "Mich hat bei coolen Forschungsprojekten immer genervt, dass tolle Ideen anschließend abgelegt vergammeln." Weiterentwickeln und in die Praxis bringen, das kann die Hochschule nicht, ein Unternehmen schon. "Wenn wir das Informatikwissen aus der Computergrafik oder aus neuronalen Netzen in die Automatisierungstechnik überführen, dann ist da ganz viel gute Musik drin."Und Arbeitsplätze mit Zukunft.
In der Vernetzung von Produktionsanlagen besteht ein immenser Bedarf an Fachkräften, der mangels Angeboten nicht gedeckt werden kann. "Wenn wir es schaffen, die Anzahl von Studentinnen in den relevanten Fächern auf 50 Prozent zu steigern, würde das dem Arbeitsmarkt ökonomisch sehr helfen."
Männer scheitern anders als Frauen, sagt die Informatikerin
Scheitern tun Männer und Frauen gleichermaßen, nur probieren es Männer danach eher nochmal, ist Aschenbrenners Erfahrung. Frauen werde hingegen in der Jugend eingetrichtert: Wenn es nicht klappt, kannst du auch was anderes machen. "Frauen brauchen eine höhere Frustrationstoleranz, darin müssen wir sie stärken." Dann trauen sich auch mehr Frauen an die Disziplinen Informatik und E-Technik.
Aschenbrenner will ihre Studierenden vor allem für Technologien begeistern und hofft, dass sie dann mit der gleichen Leidenschaft an das Thema herangehen wie sie.