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IT-Unternehmen: Die richtige Software für ein Projekt finden
(Bild: Pixabay)
Von Markus Kammermeier veröffentlicht am
Am Beginn vieler Projekte steht die Auswahl der passenden Softwarelösung. Das kann man intuitiv machen oder mit endlosen Pro-und-Contra-Listen, optimal ist beides nicht. Ein Praxisbeispiel mit einem Ticketsystem.
Die Auswahl einer passenden Softwarelösung ist eine weitreichende Entscheidung. Oft sind damit hohe finanzielle Investitionen verbunden und in vielen Fällen schlägt das Unternehmen eine Richtung für mehrere Jahre ein. Als Berater für Digitalisierung habe ich solche Entscheidungen schon oft begleitet. Meiner Erfahrung nach gibt es in Unternehmen zwei extreme Entscheidungsprozesse: Entweder sie verlassen sich auf die Intuition von wenigen Experten ("Das sollte für uns passen...") oder sie stürzen sich in umfangreiche funktionale Beschreibungen.
Die Intuition und Erfahrung von Experten kann eine gute Basis für eine Entscheidung sein - allerdings fühlt sich der Rest des Teams dann vielleicht übergangen oder nicht mitgenommen. Gleichzeitig ist nicht sicher, dass eine Lösung in Situation A genauso auch in Situation B funktionieren wird. In Situation A ist eine ausgewachsene Expertenlösung richtig - in Situation B können die Anforderungen auch mit einer mitgelieferten Office-Anwendung gelöst werden. Das reine Bauchgefühl von Einzelpersonen ist hierbei oft ein unzureichender Ratgeber.
Das andere Extrem sind ausführliche Excel-Tabellen, die versuchen, sämtliche notwendigen Funktionen der zukünftigen Lösung aufzulisten. Dabei entstehen schnell Listen mit vielen tausend Zeilen! Der Fachbereich wird dann aufgefordert, seine Wünsche einzutragen. Ebenso werden mögliche Anbieter gebeten, den Erfüllungsgrad zu kommentieren. Die Folge ist fast immer, dass der Fachbereich sich grundsätzlich alles wünscht und die möglichen Anbieter grundsätzlich alles versprechen.
Unser Beispiel: Ein typisches mittelständisches Unternehmen
In unserem Praxisbeispiel begleiten wir ein mittelständisches Unternehmen bei der Auswahl eines Ticketsystems. Das Unternehmen hat rund 3.000 Mitarbeiter an zwölf Standorten in Deutschland. Der interne Kunde der künftigen Lösung ist das Personalbüro (HR-Abteilung).
Die Personalarbeit erfolgt derzeit an den jeweiligen Standorten. Die etwa 25 HR-Experten sitzen über diese Standorte verteilt und bearbeiten jeweils ähnliche Themen. Das erschwert eine durchgängige Bearbeitung von Mitarbeiteranfragen: Es fehlt dafür eine gemeinsame Plattform.
Für eine effizientere Koordination von Anfragen und den mittelfristigen Aufbau einer gemeinsamen Wissensbasis wird ein passendes Softwaresystem gesucht. Typische Bezeichnungen für diese Art von Lösungen lauten Ticketsystem oder Service Delivery System.
Im Kern bieten diese Lösungen einem (internen oder externen) Kunden die Möglichkeit, ein Anliegen elektronisch einzureichen. Dieses Anliegen wird dann an ein Team von Bearbeitern weitergeleitet. Die Lösung für die Anfrage wird erfasst und dem Antragsteller zugestellt. Das Ergebnis ist ein Eintrag in einer Wissensdatenbank oder eine weitere Kommunikation. Eingesetzt werden diese Systeme in vielen IT- und Serviceabteilungen.
Ziel im Projekt war die Auswahl eines passenden Softwaresystems für dieses Szenario. Dabei durchliefen wir die drei wesentlichen Schritte:
- Anwendungsfälle skizzieren: zukünftige Anforderungen verstehen und verständlich beschreiben
- Kriterien festlegen: gemeinsame Diskussion der relevanten Auswahlkriterien
- Bewertung der Lösungen: transparente Bewertung der Kriterien mit den zukünftigen Anwendern
Als erstes werden also die Anwendungsfälle skizziert.
Statt notwendige Funktionen der zukünftigen Lösung aufzuzählen, beschrieben wir die künftigen Prozesse aus Sicht der Anwender. Diese Form der Beschreibung ist angelehnt an das agile Projektvorgehen.
Wir formulierten hierfür sechs Anwendungsfälle mit Blick auf den zukünftigen Arbeitsalltag der Fachanwender. Erarbeitet wurden diese Anwendungsfälle in Workshops gemeinsam mit dem HR-Bereich.
Für die Inhalte griffen wir auf die Erfahrung aus früheren Projekten zurück. Zielführende Workshop-Methoden sind hier Personas und Customer Journeys. Wichtig ist es, hierbei immer den Mehrwert für den Kunden - in unserem Fall die internen Mitarbeiter als Ticketersteller - im Blick zu behalten. Eine starke Moderation ist hilfreich, um die Diskussion auf Kurs zu halten.
Als Basis für die Anwendungsfälle wurden zunächst die Akteure in Mini-Personas beschrieben. Eine Persona charakterisiert idealtypisch einen künftigen Nutzer mit seinen Bedürfnissen und Wünschen im Arbeitsalltag. Diese Form der Beschreibung hilft, sich schneller in die Bedürfnisse der einzelnen Rollen hineinzuversetzen.
Ein Beispiel für eine Mini-Persona (Tabelle: Markus Kammermeier)
Die Anwendungsfälle selbst wurden sehr klar und einfach gehalten, wieder mit dem Ziel, möglichst allen Prozessbeteiligten einen schnellen Zugang zu ermöglichen.
Ein Happy-Day-Szenario (Tabelle: Markus Kammermeier)
Als Ergänzung wurden zusätzlich einige zukünftige Anwendungsfälle beschrieben. Diese Aufzählung gab den Anbietern bei der späteren Vorstellung die Gelegenheit, Trends und Zukunftsszenarien aufzugreifen. Einige Beispiele daraus sind hier aufgelistet:
- Gibt es die Möglichkeit, neue Vorgänge "im Namen von" zu eröffnen?
- Wie kann eine telefonische Anfrage schnell und einfach digitalisiert werden?
- Wie können zukünftige Kanäle wie Teams oder Slack eingebunden werden?
Nach der Analyse der Anforderungen folgte als nächster Schritt, die Kriterien für die Auswahl zu bestimmen.
Nach der Beschreibung der Anwendungsfälle kam die Festlegung der relevanten Kriterien für die folgende Bewertung. Auch diese wurden gemeinsam mit den künftigen Anwendern aus dem HR-Bereich erarbeitet. Unsere Leitfragen lauteten:
- Was ist euch wichtig?
- Woran machen wir das fest?
- Welche Gewichtung hat dieses Kriterium im Vergleich zu anderen Kriterien?
Zu den Kriterien der Anwender kamen noch die typischen Kriterien von Einkauf und IT. Neben dem Preis finden sich hier auch Fragen zum Lizenzmodell, dem Datenschutz und den Serviceoptionen.
Aus der Erfahrung in anderen Projekten zeigt sich, dass fünf bis zehn Kriterien sinnvoll sind. Eine maximale Anzahl von zwölf sollte nicht überschritten werden. Sonst besteht die Gefahr, sich zu sehr in Diskussionen über Kleinigkeiten zu verlieren. Eine Ausnahme sind Bereiche, in denen zwingende rechtliche Anforderungen in die Prüfung einfließen müssen.
Als Beispiel sind hier einige der ausgewählten Kriterien und deren Merkmale beschrieben:
Die Kriterien für die Softwareauswahl und ihre Gewichtung (Tabelle: Markus Kammermeier)
Aus theoretischer Sicht steht hinter diesem Verfahren eine klassische Nutzwertanalyse. Dementsprechend kann bei Bedarf auch die Nutzwertfunktion noch mathematisch beschrieben werden. Wer hier tiefer eintauchen möchte, findet im entsprechenden Wikipedia-Eintrag viele Informationen.
Wir hatten nun also die eigenen Bedürfnisse verstanden und in Anwendungsfällen beschrieben. Dann hatten wir unsere Kriterien transparent dargestellt. Erst jetzt (!) sahen wir uns die möglichen Lösungen auf dem Markt an.
In unserem Auswahlprozess starteten wir mit einer Marktrecherche, um eine erste Liste der möglichen Lösungen zu erhalten. Die erste Liste entstand durch:
- Erfahrungen aus früheren Projekten,
- Studien von relevanten Verbänden,
- unabhängige Vergleiche und
- Internetrecherchen.
Die erste Liste umfasste mehr als zehn Anbieter. Im Rahmen der internen Diskussion wurde entschieden, drei Lösungsanbieter in die engere Wahl zu nehmen und zu Produktvorstellungen einzuladen. Auf den Versand von Ausschreibungsunterlagen an Dutzende Anbieter wurde bewusst verzichtet, um den Aufwand in einem sinnvollen Maß zu halten.
Basis für die Produktvorstellung der Anbieter waren die erarbeiteten Anwendungsfälle. Damit konnten wir mehrere Vorteile erzielen:
- Die Vorstellungen orientierten sich an unserem Bedarf,
- die Vergleichbarkeit war einfacher und
- die Anbieter konnten sich schneller in unsere Welt hineinversetzen.
Alle drei Anbieter haben es ausdrücklich begrüßt, ihre Lösung auf Basis der erarbeiteten Anwendungsfälle zu zeigen und nicht endlose Funktionsanforderungen zu bearbeiten.
Die Vorstellungen fanden bereits unter dem Einfluss der Coronapandemie komplett remote statt. Das war kein Problem und erleichterte die Terminplanung, da keine Reisezeiten berücksichtigt werden mussten. Teilnehmer waren neben den verantwortlichen Führungskräften auch Vertreter aus dem Fachbereich. Nach jeder Vorstellung wurden die Kriterien gemeinsam bewertet.
Am Ende der Bewertungsphase entstand eine Matrix mit der Bewertung von drei Anbietern.
Die Bewertungsmatrix für die drei Anbieter in der engeren Auswahl (Tabelle: Markus Kammermeier)
In unserem Beispiel wurden die Kriterien direkt durch die Teilnehmer bewertet ("Auf einer Skala von 1-10: Wie haben Sie das Frontend wahrgenommen?"). Alternativ wäre auch eine Bewertung der Anwendungsfälle nach Erfüllungsgrad durch die Lösungen möglich gewesen ("Wie gut erfüllt der Anbieter Anwendungsfall A?").
Heraus kam eine klare Positionierung von zwei Anbietern mit ähnlich guten Ergebnissen. In unserem Beispiel wurde auf Basis dieser Resultate der beste Anbieter ausgewählt, um in vertiefende Workshops für die Realisierung zu gehen. Bei dieser knappen Entscheidung zwischen den beiden Anbietern waren der "erste Eindruck" und bestehende Vertragsbeziehungen für die endgültige Wahl ausschlaggebend. Der nun folgende zweitägige Workshop war dann auch Basis für ein Konzept des Anbieters und eine detaillierte Kostenschätzung.
Der gesamte Prozess benötigte etwa acht Wochen, vom Start bis zur abschließenden Bewertung der Lösungen. Das Ergebnis lässt sich in drei Punkten zusammenfassen:
- eine weitestgehend objektive und nachvollziehbare Softwareauswahl,
- der eigene Bedarf als Basis für die Entscheidung und
- eine Entscheidung, die durch den Fachbereich mitgetragen wird.
Kritisch ist natürlich die Auswahl der Kriterien und deren Gewichtung. Hier spielen auch subjektive Einschätzungen eine Rolle. Eine offene und transparente Diskussion im Team ist eine gute Basis für gemeinsame Ergebnisse.
Die angewendete Methode lässt sich beliebig skalieren - angefangen vom Auswahlprozess auf einer Serviette. Für kleinere Anforderungen kann die Erarbeitung der Anwendungsfälle und der Kriterien an einem Nachmittag erfolgen.
Für umfangreiche Projekte können hier mehrere Wochen notwendig sein. Ein Schlüsselfaktor ist die gemeinsame Erarbeitung der Anforderungen. Im Kern steht der Mehrwert für den künftigen Anwender und nicht die Funktion der Software.
Das Ergebnis ist ein transparenter und gemeinsamer Prozess, der von allen mitgetragen wird. Das ist das Fundament für eine breite Akzeptanz der ausgewählten Lösung.
Über den Autor: Markus Kammermeier arbeitet seit Jahren als Berater, Business Coach und Trainer an der Schnittstelle zwischen HR, IT und OE. Er kennt IT-Projekte aus unterschiedlichen Perspektiven: in der IT-Infrastruktur, als Softwareentwickler, als Berater, Projektleiter und Geschäftsführer. Heute ist er vor allem als Berater für die Digitalisierung in Unternehmen tätig.
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