IT in Behörden: Modernisierung unerwünscht
(Bild: Pixabay)
Ein Bericht von Andreas Schulte veröffentlicht am
In deutschen Amtsstuben kommt die Digitalisierung nur schleppend voran. Das liegt weniger an den IT-Abteilungen als an ihren fachfremden Kollegen.
Mitten in der Corona-Krise sorgt diese Nachricht bundesweit für Kopfschütteln: Ämter setzen bei der Bewältigung der Pandemie noch immer das Fax ein. Tatsächlich trudeln die Daten unzähliger Corona-Tests als Fernkopie bei den Gesundheitsämtern des Landes ein.
Dort übertragen Mitarbeiter die Informationen mühsam und von Hand in digitale Systeme und leiten sie erst dann weiter. Das dauert, zumal viele Faxmaschinen überlastet sind. Die Folge: Wertvolle Arbeitszeit zur Bekämpfung der Pandemie geht so verloren.
Und nicht nur die Gesundheitsämter sind in diesen Tagen in ihrer Arbeit eingeschränkt. Weil viele Beschäftigte wegen der Krise im Homeoffice arbeiten, bleiben auch bei anderen Behörden Anträge liegen. So etwa bei Bauämtern.
"Bei der Erteilung von Baugenehmigungen hakt es derzeit am meisten", sagt Andreas Ibel, Präsident des BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen unter Berufung auf eine Mitgliederumfrage. Der Grund: Aus dem Homeoffice heraus ist die Erteilung nicht möglich, weil wichtige Daten im Homeoffice nicht verfügbar sind. "Jetzt rächt sich, dass viele Kommunen digitale Baugenehmigungsverfahren noch nicht angegangen sind", klagt Ibel.
So zeigt die Coronakrise drastisch, was in hiesigen Amtsstuben Alltag ist: Ob wegen veralteter Technik, verkrusteter Strukturen oder überforderter Mitarbeiter. "In Deutschlands Behörden wird zu viel Arbeitszeit verbrannt", sagt der IT-Leiter einer Bundesbehörde, der seinen Namen lieber nicht veröffentlicht sehen will.
Und dieser Trend dürfte sich sogar noch verstärken. Denn die dortigen IT-Aufgaben werden zunehmend komplexer - dieser Meinung sind laut einer aktuellen Umfrage der Consultingfirma Capgemini 88 Prozent der Führungskräfte in Deutschland. Besonders laut seien die Klagen in der öffentlichen Verwaltung, heißt es in der Studie. Schon jetzt ächzen viele IT-Abteilungen unter der täglichen Arbeitslast. In Zukunft dürften sie noch mehr als bislang auf die Unterstützung von Kollegen angewiesen sein. Doch ausgerechnet daran hapert es, so die Erfahrung des IT-Leiters.
Mitarbeiter mit Mentalitätsproblem
Er hat ein Mentalitätsproblem ausgemacht. "Viele Behördenmitarbeiter sträuben sich geradezu gegen die Veränderung von IT-Prozessen. Sie haben Angst, bei neuen Abläufen Fehler zu machen und fürchten die internen Hierarchien, die in Ämtern weiterhin stärker ausgeprägt sind als in Unternehmen", sagt er.
Oft bekomme seine Unit bereits digitalisierte Prozesse auf Papier zurück. Das bedeute nicht nur mehr Arbeit für diese Beschäftigten selbst, auch seine Abteilung müsse dadurch Prozesse ein zweites Mal aufsetzen.
Doch die Beschäftigten lehnen Modernisierungen nicht nur ab, sie verweigern Kollegen mitunter auch den Einblick in die eigenen Abläufe. "Transparenz wird als Gefahr betrachtet", sagt der IT-Leiter, der von einem krassen Beispiel berichtet: Eine Anstellung eines Kollegen scheiterte zwischenzeitlich daran, dass eine Mitarbeiterin im Urlaub weilte. Das für die Einstellung nötige Zeugnis des neuen Kollegen lag in ihrem Büro. Es existierte nur in Papierform, und die Kollegin hatte ihr Büro abgeschlossen.
"Wie soll man bei einer solchen Wagenburgmentalität Innovationen einführen", fragt sich der IT-Leiter. Moderne Kommunikation etwa durch Ticket-Systeme statt E-Mails zur Prozessbeschleunigung sei schlichtweg nicht gewünscht.
Auch Bernd Firuz Kramer erkennt bei einigen Mitarbeitern Widerstände gegen Modernisierungen. "Bei kollaborativen Ansätzen über verschiedene Hierarchien hinweg herrscht in vielen Ämtern noch Unsicherheit. Dafür braucht es Mut", sagt der Senior Manager bei der Unternehmensberatung Accenture. Er setzt bei Beratungen in der Verwaltung daher auf Workshops zu IT-Projekten, an denen nicht nur IT-Kräfte teilnehmen, sondern auch Angestellte verschiedener Abteilungen und unterschiedlicher Hierarchie-Ebenen.
So sollen der Blick und das Verständnis für die jeweils andere Position geschärft werden. Hierarchiefreies Denken ist ausdrücklich erwünscht. Daher duzen sich alle Teilnehmer für die Zeit der Veranstaltung, gleich ob Chef oder Sachbearbeiter. Und jeder Mitarbeiter erhält die gleiche Redezeit.
Das Resultat: "Lösungsansätze fallen weitsichtiger aus, als wenn nur eine Fachabteilung oder die Leitungsebene sie entwickelt hätte", sagt der Experte. Wichtig sei, die Teilnehmer bereits in der Frühphase eines Projekts so zusammenzubringen. "Nur dann entsteht das nötige Verständnis für die Denkweise der Kollegen anderer Abteilungen", sagt Kramer.
Tatsächlich haben Mitarbeiter außerhalb von IT-Abteilungen selbst oft das Gefühl, bei Projekten nicht mitgenommen zu werden. Diesen Schluss legt eine Befragung der Stadt Köln innerhalb ihrer Belegschaft nahe. Dort findet gerade eine umfassende Verwaltungsreform statt. Mehr als die Hälfte der dort Beschäftigten ist der Meinung, dass die Einbindung aller Mitarbeiter in den Reformprozess in ihrem Amt bisher viel zu gering sei.
Wenige, aber engagierte IT-Kräfte
Nicht zwangsläufig, findet Bernd Firuz Kramer. "Hier gibt es viele brillante Köpfe, die sich sehr für ihre Arbeit begeistern", sagt er. Das Problem ist eher: Es sind zu wenige. Denn laut einer Umfrage der Technischen Universität (TU) München unter Informatikstudierenden interessiert sich nur jeder zehnte von ihnen für einen Arbeitgeber im öffentlichen Sektor. Doch wen es dorthin zieht, der ist meist sehr engagiert. "Viele IT-Fachkräfte in der öffentlichen Verwaltung sind von der Mission getrieben, ihre Arbeit in den Dienst der Bürger zu stellen", sagt Experte Kramer.
Tatsächlich belegt die Münchener Studie, dass nicht etwa die Aussicht auf ein hohes Gehalt über die Wahl des Arbeitgebers entscheidet. Vielmehr ist eine reizvolle Aufgabe das beste Lockmittel für Arbeitgeber. Denn dies wünscht sich mehr als die Hälfte der Befragten. Erst auf Platz zwei folgt mit 36 Prozent das Geld.