Cursor setzt auf KI-Verbot und 2-Tage-Praxistest statt Remote-Interviews

Während andere Tech-Unternehmen mit KI-manipulierten Remote-Bewerbungen kämpfen, geht Anysphere den entgegengesetzten Weg: Der Cursor-Entwickler verbietet KI-Tools in technischen Interviews und lässt Kandidaten zwei Tage lang echte Projekte im Büro bearbeiten.
Während viele Technologieunternehmen mit den Herausforderungen von Teleinterviews kämpfen, setzt Anysphere – das Unternehmen hinter dem KI-gestützten Code-Editor Cursor – auf ein striktes KI-Verbot in technischen Interviews und einen ungewöhnlichen zweitägigen Bewerbungsprozess im Büro.
Michael Truell, Mitgründer und CEO von Anysphere, erklärte in einem Y-Combinator-Podcast die Philosophie hinter diesem Ansatz: "Programmieren ohne KI bleibt ein ausgezeichneter, zeitlich begrenzter Test für Fähigkeiten und Intelligenz." Diese Eigenschaften seien zentrale Qualitäten, nach denen das Unternehmen bei neuen Teammitgliedern suche.
Bewusste Entscheidung gegen KI-Tools im Screening
Bei ersten technischen Screening-Runden dürfen Bewerber ausschließlich Autovervollständigung verwenden. Komplexere KI-Assistenten oder Sprachmodelle sind untersagt. Diese Regel steht im direkten Kontrast zu dem Problem, das andere Unternehmen derzeit beschäftigt: Bewerber, die mit versteckten KI-Tools arbeiten, perfekte Antworten ablesen oder Take-Home-Aufgaben vollständig von Algorithmen lösen lassen.
Truell begründet die Entscheidung mit Fairness. "Wir haben viele fantastische Programmierer eingestellt, die tatsächlich keine Erfahrung mit KI-Tools haben", sagte er. Anysphere bevorzuge es, solche Personen einzustellen und sie dann im Job zu schulen. Gleichzeitig könne das Unternehmen so Produkterkenntnisse aus der Perspektive von Erstnutzern gewinnen.
Zweitägiges Projekt statt klassischer Interviews
Der finale Schritt im Bewerbungsprozess unterscheidet sich grundlegend von herkömmlichen Interviewformaten. Kandidaten auf der Shortlist verbringen zwei Tage im Büro von Anysphere, arbeiten an echten Projekten mit dem Team zusammen, nehmen an gemeinsamen Mahlzeiten teil und präsentieren am Ende ihre Ergebnisse.
"Du wirst wahrscheinlich nicht bereit sein, das zu machen, wenn du es nur als Job betrachtest und dich gleichzeitig bei vielen anderen Technologieunternehmen bewirbst", erklärte Truell. Dieses Format helfe dabei, Personen zu identifizieren, die echte Leidenschaft für das Problemfeld mitbringen – und nicht lediglich einen neuen Arbeitsplatz suchen.
Der Ansatz zielt darauf ab, die sogenannte "Hacker-Energie" im Team zu bewerten und aufrechtzuerhalten. Anysphere sucht gezielt nach Ingenieuren, die experimentierfreudig und auch bereit sind, Zeit für Bottom-up Experimente (selbstinitiierte Experimente der Entwickler) einzuplanen.
Workshops zu Dev-Themen:
Langsame Expansion mit hohen Standards
Truell gab zu, dass die frühe Personalrekrutierung bei Anysphere bewusst langsam verlaufen sei. Das Ziel war der Aufbau einer kleinen Gruppe von Generalisten und "Polymaths" – Personen, die gleichzeitig produktorientiert, kommerziell denkend und erfahren im Training von Modellen arbeiten können.
"Es ist von entscheidender Bedeutung, die ersten zehn Mitarbeiter sorgfältig auszuwählen", so der CEO. Diese Schlüsselpersonen könnten das Unternehmen später beschleunigen, da ihre Talentdichte andere Bewerber beeindrucke und sie als "Immunsystem" fungierten, das hohe Standards für zukünftige Einstellungen aufrechterhalte.
Anysphere benötigt dabei Leute, die eine Mischung aus einem Grundlagenmodell-Labor und einem normalen Softwareunternehmen verkörperten – bei dem Modelle und Produkte eng verzahnt sind.
Gegenbewegung zu manipulierten Bewerbungsprozessen
Der Ansatz des Unternehmens steht im Kontrast zu den Bewerbungsproblemen, mit denen andere Technologieunternehmen derzeit konfrontiert sind. Der zweitägige Vor-Ort-Prozess könnte sich als entscheidender Vorteil erweisen. Während Remote-Interviews durch technische Hilfsmittel manipulierbar geworden sind, lassen sich echte Programmierfähigkeiten und Teamdynamik nur schwer vortäuschen, wenn Kandidaten mehrere Tage lang direkt mit dem Team arbeiten. Die Investition in Reisekosten und Arbeitszeit wirkt dabei als natürlicher Filter – nur ernsthaft interessierte Bewerber werden diesen Aufwand betreiben.
Allerdings bringt diese Strategie auch Nachteile mit sich. Kandidaten aus entfernten Regionen oder anderen Ländern werden systematisch benachteiligt, was den verfügbaren Talent-Pool einschränkt. Die hohen Kosten für Reise und Unterbringung sowie der Zeitaufwand für beide Seiten machen den Prozess nur schwer skalierbar. Zudem können Eltern oder Menschen mit anderen Verpflichtungen oft nicht spontan für zwei Tage verreisen – eine Gruppe, die gerade in der Softwareentwicklung wertvolle Perspektiven einbringen könnte.
Die Muttergesellschaft Anysphere sammelte im vergangenen Monat 900 Millionen Dollar bei einer Bewertung von 9,9 Milliarden Dollar ein. Business Insider berichtete, dass Amazon Gespräche mit Cursor über eine interne Nutzung des KI-Coding-Tools führt. Die Ironie dabei bleibt nicht unbemerkt: Während Anysphere KI-Assistenten entwickelt, die Programmierern helfen sollen, verbietet das Unternehmen seinen eigenen Bewerbern genau diese Technologie.
Das Unternehmen steht mit seinem restriktiven Ansatz nicht allein da. Anthropic hatte zunächst ebenfalls KI-Nutzung in Bewerbungsverfahren untersagt, revidierte diese Politik jedoch nach kurzer Zeit wieder. Mike Krieger, Chief Product Officer bei Anthropic, erklärte, dass zukünftige Interview-Prozesse deutlich mehr Möglichkeiten zur gemeinsamen KI-Nutzung beinhalten würden.
Anysphere hingegen hält an seinem Ansatz fest – zumindest für die ersten Screening-Runden. Die Kombination aus KI-freien technischen Tests und mehrtägigen Praxisprojekten soll dabei helfen, echte Talente zu identifizieren, während andere Unternehmen noch nach Lösungen für manipulierte Remote-Interviews suchen.
Bild: Freepik.com
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