Change-Management: Wie man Mitarbeiter mitnimmt
(Bild: Harry Kerr/BIPs/Getty Images)
Von Markus Kammermeier veröffentlicht am
Wenn eine Firma neue Software einführt oder Prozesse digitalisiert, stößt sie intern oft auf Skepsis. Häufig heißt es dann, man müsse "die Mitarbeiter mitnehmen" - aber wie?
Laut dem Chaos-Report der Standish Group ist lediglich eines von fünf IT-Projekten erfolgreich - also beim Abschluss in time, in budget und in quality. Das Scheitern liegt selten an der Technik, Studien nennen immer die gleichen Ursachen: unklare Ziele und Erwartungen, verunsicherte Stakeholder, also Anwender, Projektmitglieder und Interessenvertreter, und unterschätzte Komplexität. IT-Teams brauchen ein Instrumentarium für den Umgang damit. Dieser Artikel beschreibt Werkzeuge, die Orientierung schaffen und damit Ängste abbauen - durch Vertrauen, Transparenz und Anwenderzentrierung.
Angst blockiert Veränderungen
In Veränderungsprozessen ist Angst eng verbunden damit, wie sich die Betroffenen die mögliche Zukunft ausmalen. Anders gesagt: Die Menschen fürchten sich davor, was passieren könnte. Gemeint sind hier nicht medizinische Angststörungen, damit sind IT-Projektleiter selten konfrontiert, sondern Ängste, die fast jeder Mensch hat. Wird eine Angststörung vermutet, sollte das mit Hilfe eines (Betriebs-)Arztes geklärt werden.
Die Vorstellung der Zukunft beginnt schon bei der Frage nach dem morgigen Wetter: Es könnte regnen oder es könnte die Sonne scheinen. Je nach Wetterlage können wir joggen gehen oder auch nicht. Die Unsicherheit erfüllt uns mit Unruhe und blockiert unsere Planung. Beim Wetter schaffen wir mehr Sicherheit, indem wir den Wetterbericht prüfen.
In IT-Projekten verhält es sich ähnlich: Durch ein neues Werkzeug, einen neuen Prozess oder die Digitalisierung von Dokumenten ermöglichen IT-Teams ihren Anwendern eine neue Zukunft. Für die betroffenen Anwender ist nicht abzusehen, welche Auswirkungen die Veränderungen auf ihren Arbeitsalltag und auf sie selbst als Mitarbeiter haben. Typische Fragen, die Anwender sich stellen, sind:
- Werde ich das lernen können?
- Werde ich als Arbeitskraft dann noch gebraucht?
- Wie verändert sich meine Tätigkeit?
- Was kommt als nächstes?
Verstärkt werden diese Befürchtungen durch vergangene Erfahrungen ("Bei der letzten Umstellung ...") oder Berichte von anderen IT-Projekten ("Nach der Einführung ging bei uns drei Wochen gar nichts mehr ...").
Dabei gilt es jedoch zwei Dinge zu beachten: Wir überschätzen negative und unterschätzen positive Erfahrungen. Menschen neigen dazu, negative Erfahrungen zu verallgemeinern und persönlich zu nehmen. Positive Erfahrungen werden hingegen auf einzelne Situationen bezogen und versachlicht. Die Auswirkungen hat jeder schon erlebt: Scheitert jemand an einer Aufgabe, hören wir Sätze wie "Ich kann das nie!" oder "Ich bin grundsätzlich schlecht bei neuen Themen." Im Gegensatz dazu werden Erfolge häufig kleingeredet.
Bei der Verbreitung von negativen Erfahrungen wirkt die sogenannte 14-4-Regel. Sie wird Verkäufern im Einzelhandel früh erklärt: Über gute Erfahrungen in ihrem Laden werden vier Menschen sprechen, über schlechte Erlebnisse 14. Daher erreichen uns als Projektverantwortliche Berichte über schwierige Situationen oder schlechte Projekterfahrungen weit häufiger als Erfolgsberichte.
Und leider werden schlechte Nachrichten nachweislich stärker rezipiert. Die Wissenschaft hat hierfür den Begriff Negativity Bias, der besagt, dass selbst bei gleicher Intensität negative Informationen stärker wahrgenommen werden als positive.
Beide Punkte unterstützen negative Erwartungen von Anwendern in IT-Projekten. Das führt zu zusätzlichen Hürden bei der Akzeptanz. Um dem entgegenzuwirken, können IT-Teams drei Strategien nutzen:
- Orientierung durch Struktur
- Transparenz durch Kommunikation
- Mehrwert durch Anwenderzentrierung
Durch Orientierung schaffen wir Sicherheit. Fehlende Struktur erzeugt Unsicherheit.
Die Formel für Vertrauen
Ein Beispiel: Die IT sendet eine Mail an alle Mitarbeiter in der Firma: "Info an alle Anwender: In den nächsten Tagen spielen wir mehrere Updates ein." So eine Mail stiftet sofort Verwirrung. Bei den Empfängern entstehen viele Fragen: Wann genau? Werde ich betroffen sein? Was verändert sich? Wie verändert sich meine Arbeit?
Damit verunsichern Projektverantwortliche ungewollt IT-Anwender, die sich dadurch orientierungslos fühlen. Es geht also darum, Orientierung zu schaffen. In IT-Projekten geht das in fünf Bereichen.
Umgebung: Es muss Klarheit herrschen über die betroffenen Arbeitsmittel, die Veränderungen im Arbeitsumfeld und über neue Werkzeuge. Dazu zählen auch Informationen zu den neuen Software-Tools, zu den Veränderungen in den Abläufen oder zu räumlichen Veränderungen (neuer PC, neue Büros, neue Zimmergenossen und so weiter). Beispielsweise könnte man schreiben:
- "Durch die Einführung der neuen Software ändert sich die Menüführung. Künftig finden Sie die wichtigen Elemente ..."
- "Die neue Lösung wird zunächst nur für den Standort Heidelberg übernommen. Die übrigen Standorte ..."
Zeit: Auch der zeitliche Ablauf der Veränderungen muss klar vermittelt werden: Wann stehen Termine an? Wann findet die Downtime statt, also wann wird das System vorübergehend abgestellt? Wann gibt es neue Informationen? Hilfreiche Werkzeuge sind Projektpläne, Informationstermine und transparente Meilensteine. Beispiele für Formulierungen wären:
- "Die Systeme sind nicht verfügbar von ..."
- "Nach dem Go-Live am 27. Juli werden die Schichten in der Produktion verlängert ..."
Inhalte: Es muss klar werden, welche Inhalte betroffen sind und was die neuen Funktionen sind, zum Beispiel eine neue Menüführung, neue Arbeitsanweisungen oder neue Bildschirmmasken. Auch der Zusammenhang des IT-Projektes mit anderen Projekten und strategischen Zielen fallen hierunter. Zum Beispiel:
- "Durch die neue Software verändert sich die Tätigkeit an den Packtischen. Künftig werden ..."
- "Das Update betrifft die folgenden Module: Finanzen, Controlling und Personal. Einen Überblick über geänderte Inhalte finden Sie ..."
Personen: Es muss ein Überblick über die betroffenen Personengruppen und deren Verhältnis zueinander geschaffen werden. Dazu zählt auch die Information über mögliche Ansprechpartner für die Umsetzung oder die spätere Unterstützung. Zum Beispiel:
- "Betroffen von dem Update sind alle Kollegen im Außendienst. Die Kommunikation mit dem Innendienst ändert sich künftig ..."
- "Für die Unterstützung in der Projektphase hat jedes Team einen Ansprechpartner in der IT. Jederzeit für Fragen verfügbar ..."
Symbol: Orientierung in der Kommunikation schafft auch ein klares Symbol. Das kann zum Beispiel der Projektname oder ein Projektsymbol sein. Damit können Anwender das Thema schneller zuordnen und es etabliert sich häufig eine Identifikation mit der Veränderung. Zum Beispiel:
- "Im Projekt Fit for Future sind unsere Ziele ..."
- "Inhalt unserer Initiative 5K sind ..."
Dabei sollte die Kommunikation stets offen und ehrlich sein. Menschen haben ein gutes Gespür dafür, wenn ihnen eine Geschichte erzählt wird. In der Literatur finden wir dazu die beiden Kardinalfehler "Hidden Agenda" und "Wahrheit auf Raten". Beide Taktiken werden immer wieder angewendet - gerade in Transformationsprojekten. Meist wird das durchschaut und das Vertrauen in die Projektführung wird beschädigt. Weitere Informationen hierzu finden sich in dem Buch Change-Management von Christel Becker-Kolle, Thomas Fischer und Georg Kraus (ISBN: 978-3589238187).
Vertrauen ist die Grundlage jeder Kommunikation. Ingenieuren und Technikern hilft dazu eine mathematische Darstellung, die sogenannte Vertrauensformel:
(Bild: Golem.de)
Nach dieser Gleichung steigern wir das Vertrauen durch die persönliche Glaubwürdigkeit, die Zuverlässigkeit und das gegenseitige Vertrauen. Negativ wirkt dagegen ein hoher Eigennutz - also eine Orientierung an den eigenen Bedürfnissen. Das ist häufig der Fall bei einer "Hidden Agenda".
- Glaubwürdigkeit entsteht durch die Dinge, die wir sagen. Sie müssen wahr sein.
- Zuverlässigkeit entsteht durch die Dinge, die wir tun. Mit unseren Aktionen müssen wir liefern.
- Vertrautheit ist ein Gefühlt, das durch Offenheit und Selbstkundgabe entsteht.
Mehr zur Anwendung der Formel für Vertrauen findet sich auf der Seite Trusted Advisor. Mit Vertrauen als Basis können wir Orientierung und Struktur schaffen. Das führt zu Sicherheit. Orientierung allein reicht aber nicht. Transparenz ist mindestens ebenso wichtig.
Transparenz: Genau sagen, was das Ziel ist
Transparenz schaffen wir in IT-Projekten durch eine klare und offene Kommunikation. Ein wesentliches Ziel ist es dabei, die richtigen Bilder für die Zukunft zu malen. Ohne Kommunikation entwerfen die Anwender ihre eigene Vorstellung von der Zukunft - möglicherweise geprägt von schlechten Erfahrungen der Vergangenheit. Durch eine klare Kommunikation vermitteln wir ein sinnvolles Zielbild, also eine Vision von der Zukunft.
In IT-Projekten helfen folgende Maßnahmen bei der Vermittlung des Zielbildes. Die Beispielformulierungen beziehen sich alle auf die Bereitstellung von mehr Homeoffice-Arbeitsplätzen.
Projektvision: Eine Projektvision - also ein klares Zielbild - gibt Orientierung in der Projektarbeit und den Anwendern einen Ausblick auf ihre künftige Arbeitsweise. Eine gute Projektvision ist für das Projektteam attraktiv und erstrebenswert. Hier ein Beispiel für eine Homeoffice-Infrastruktur: "Unsere Vision ist eine einheitliche Infrastruktur für alle Anwender an jedem Ort. Damit schaffen wir eine Arbeitsumgebung, die für IT-Anwender im Unternehmen, zu Hause und beim Kunden funktioniert."
Transparente Ziele: Die Projektziele müssen für das Team und die Anwender klar und verständlich sein. Dabei ist zum einen wichtig, den Nutzen für die übergeordneten Unternehmensziele darzustellen. Zum anderen zeigt eine wirkungsvolle Kommunikation auf, welchen Nutzen das Projekt für den einzelnen Anwender hat. Beispiele wären:
- "Das Ziel in unserem Projekt ist eine Reduzierung der Büroflächen. Damit sparen wir fixe Kosten und verbessern unsere Stabilität in Krisenzeiten."
- "Für jeden einzelnen bedeutet die neue IT-Ausstattung mehr Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsplatzes."
Regelmäßige Kommunikation: Kommunikation wird in jeder Projektphase in unterschiedlicher Intensität benötigt. Zu Beginn liegt der Fokus darauf, über das Projekt zu informieren. Im weiteren Verlauf verschiebt er sich auf den Dialog mit den Anwendern und auf Unterstützungsmaßnahmen. Jede Projektkommunikation muss abgestimmt sein auf die etablierten Kanäle und Medien im Unternehmen.
- "Für einen wöchentlichen Projektstatus nutzen wir das Intranet."
- "Für den Dialog mit den Anwendern richten wir eine Sprechstunde ein."
Alle Kommunikationsmaßnahmen orientieren sich an den jeweiligen Zielgruppen. Sie sind abgestimmt auf die Situation, die Zielgruppen und die Umgebung im Unternehmen.
Fragen, welche Ideen die Mitarbeiter haben
Bei allen IT-Projekten müssen wir zwei Frage beantworten: Wie trägt das Projekt zum Unternehmenserfolg bei? Und: Welchen Nutzen hat das Projekt für die Anwender?
Die Anwender sind entweder Kunden des Unternehmens (zum Beispiel bei der Einführung einer neuen Shopping-Lösung) oder die Mitarbeiter (zum Beispiel bei der Einführung einer neuen ERP-Lösung). Der Mehrwert für die Anwender startet bereits beim Design beziehungsweise der Auswahl der Lösung. Die zukünftigen Anwender werden zu unterschiedlichen Phasen in das Projekt einbezogen und ihre Rückmeldungen haben Einfluss auf die weitere Projektarbeit
- bei der Softwareauswahl
- bei der Softwarearchitektur
- bei der Implementierung beziehungsweise der Umsetzung
- in der Testphase
- bei der Inbetriebnahme
- in der Optimierungsphase
Agile Vorgehensmodelle wie zum Beispiel Scrum sehen die Rolle des Anwenders als Projektmitglied ganz bewusst bereits vor. Diese Vorgehensweise kann durch interaktive Workshops ergänzt werden. Dabei sind in den letzten Jahren zwei Vorgehensweisen stark verbreitet worden:
Design Thinking (DT) als Werkzeugkasten für die Softwareauswahl und die Gestaltung der Lösung. Design Thinking ist eine systematische Herangehensweise an komplexe Problemstellungen aus allen Lebensbereichen. Dabei stehen Nutzerwünsche und -bedürfnisse sowie nutzerorientiertes Erfinden im Zentrum. Design Thinker schauen durch die Brille des Nutzers auf das Problem und begeben sich dadurch in die Rolle des Anwenders. In DT-Workshops arbeiten interdisziplinäre Teams von fünf bis zehn Personen zusammen.
Zu Beginn wird der Problemraum - also die tatsächliche Anforderung - genau untersucht. Erst wenn das Problem wirklich verstanden ist, wendet sich der Prozess der Lösung zu. DT arbeitet sehr iterativ und bezieht immer wieder den Blickwinkel des Endanwenders mit ein. Dadurch entstehen häufig Lösungen, die kreativ und nahe am Anwender sind.
In Bezug auf das Homeoffice-Beispiel von oben könnte eine mögliche DT-Herausforderung sein: "Wie können wir unsere Anwesenheitsquote im Büro auf weniger als 50 Prozent reduzieren und gleichzeitig die gefühlte Kollaboration im Team verbessern?"
Als Ergänzung bezieht User Centric Design die Anwender bei der Oberflächenarchitektur stark mit ein. In mehreren Iterationen werden mit den Fachanwendern die Oberfläche und der Prozess in der Anwendung gestaltet. Diese Vorgehensweise eignet sich vor allem für die Entwicklung von Individualsoftware, die besonders an die Bedürfnisse des Unternehmens angepasst wird.
IT wird vom Umsetzer zum Begleiter
Veränderungen erfordern das Überwinden der inneren Trägheit. Sie erfordern Energie und Mut, sich einer unbekannten Zukunft zu stellen. Durch die richtige Begleitung können Anwender dabei unterstützt und zu neuen Lösungen befähigt werden.
Dabei verändert sich langsam auch die Rolle der IT-Projektteams. In zu vielen Projekten ziehen sich IT-Teams noch auf ihre Rolle als Umsetzer zurück. Dabei ist die technische Umsetzung nur ein Teil des Erfolges. Noch mehr als in der Vergangenheit entwickelt sich die Rolle der IT zum Sparringspartner und Begleiter für den Fachbereich. Sonst werden Anwender alleingelassen und akzeptieren die Änderungen nicht. Daran können Projekteinführungen scheitern.
aktualisiert am 29.4.2024