Wie bekämpft man das Hochstapler-Syndrom?

Wie bekämpft man das Hochstapler-Syndrom? - Golem Karrierewelt

Die hohe Komplexität der Softwareindustrie begünstigt falsche Selbsteinschätzungen bei Fachleuten wie das Impostor-Syndrom oder den Dunning-Kruger-Effekt. Dr. Milan Milanović erklärt die Phänomene und wie man als Softwareentwickler sein Selbstwertgefühl zurückgewinnt.
 
Von Dr. Milan Milanović 
 
Das Hochstapler-Syndrom 
 
Jeder, der im komplexen Bereich der Softwareentwicklung tätig ist, wurde mindestens einmal in seiner Laufbahn vom Hochstaplersyndrom (engl. Impostor Syndrome) [1] heimgesucht. Es ist vor allem bei High-Performern zu spüren. Das Impostor-Syndrom ist die Unfähigkeit zu akzeptieren, dass die täglichen Bemühungen, zu lernen und die eigenen Talente weiterzuentwickeln, einem Aufmerksamkeit oder den Erhalt der Jobposition einbringen sollten. Stattdessen entsteht der Eindruck, dass man andere täuscht, indem man ihnen vorgaukelt, man sei besser in seinem Job als man in Wahrheit ist (z. B. "Ich bin nicht gut genug, um ein leitender Engineer zu sein") – ein Schwindler, der kein Recht hat, dort zu arbeiten. 
 
Während dies zu Beginn einer Karriere sinnvoll sein kann, kann es später eine Belastung darstellen. Auch wenn man Senior Engineer ist, heißt das nicht, dass man Antworten auf alle Fragen hat. In der Softwareentwicklung herrscht oft ein hoher Leistungs- und Produktivitätsdruck, und man muss mit neuen Technologien und Tools Schritt halten. Dies kann zu Gefühlen der Unzulänglichkeit und des Selbstzweifels führen – häufige Symptome des Hochstaplersyndroms. 
 
Darüber hinaus kann das Hochstaplersyndrom zu Burnout, Stress und Angstzuständen führen und die körperliche und geistige Gesundheit eines Softwareingenieurs ernsthaft beeinträchtigen. Indem sie das Hochstapler-Syndrom erkennen und angehen, können Softwareingenieure Maßnahmen ergreifen, um ihr Selbstvertrauen zu stärken, ihre Stressbelastung zu bewältigen und ihre Fähigkeiten und Kenntnisse auszubauen.

Das Gegenteil: Der Dunning-Kruger-Effekt

Wenn wir das Impostor-Syndrom besser verstehen wollen, kann uns ein anderer Effekt helfen, und zwar der Dunning-Kruger-Effekt [2] – die kognitive Verzerrung der illusorischen Überlegenheit. Er befindet sich auf der anderen Seite des Spektrums der Falscheinschätzungen. Wer bei einer Aufgabe schlecht abschneidet, neigt dazu, seine Leistung zu überschätzen. Darüber hinaus fällt es vielen Menschen schwer, ihre Grenzen einzugestehen, was den Effekt, ihre Fähigkeiten überzubewerten, noch verstärkt. Jedoch sinkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und das eigene Wissen schließlich, je mehr man über ein Thema erfährt und vor allem je mehr man erkennt, wie viel man noch zu wissen hat. 
 

Der Dunning-Kruger-Effekt

Der Dunning-Kruger-Effekt 


Je mehr man weiß, desto mehr erkennt man, wie wenig man eigentlich weiß

Dieser Gedanke stammt vom berühmten Philosophen Aristoteles und verkörpert das Konzept der intellektuellen Bescheidenheit. Er verdeutlicht die Erkenntnis, dass stets Neues zu lernen ist. In der sich rasant entwickelnden Welt des Softwareengineering, in der kontinuierlich neue Technologien, Werkzeuge und Methoden entstehen, ist dieser Gedanke besonders relevant.

Dennoch neigen wir oft dazu, unser Wissen zu überschätzen, insbesondere wenn wir uns auf einem neuen Gebiet bewegen. Dies wird durch den bereits erwähnten Dunning-Kruger-Effekt beschrieben. Dieser Effekt kann mit einem stetig wachsenden Kreis verglichen werden: Unser aktuelles Wissen befindet sich im Inneren des Kreises, während das, was wir nicht wissen, außerhalb liegt. Aber je mehr wir uns mit Unbekanntem auseinandersetzen, desto mehr erkennen wir, wie viel es noch zu entdecken gibt. Somit erweitert sich unser Wissen ständig, und gleichzeitig wird uns immer bewusster, wie wenig wir tatsächlich wissen. 

 Der Wissenkreis

Der Wissenkreis

 
Wie man mit dem Hochstapler-Syndrom und dem Dunning-Kruger-Effekt umgeht 
 
Um mit diesen Verzerrungen umzugehen, müssen wir einige metakognitive Fähigkeiten entwickeln, wie zum Beispiel:

  1. Selbstreflexion - Der erste Schritt im Umgang mit dem Hochstapler-Syndrom besteht darin, zu erkennen, dass ihr darunter leidet. Seid ehrlich, was eure Gefühle angeht, und habt keine Scheu, sie mit einer Person eures Vertrauens zu besprechen. 
      
  2. Kluge Notizen machen - Es ist einfacher, Wissenslücken zu erkennen, wenn man sie visualisiert. Wenn ihr euch diese Gewohnheit angewöhnt, könnt ihr Gedankenmuster leichter erkennen. 
      
  3. Hinterfragt eure Gedanken - Das Hochstapler-Syndrom wird oft durch negative Selbstgespräche und Selbstzweifel ausgelöst. Hinterfragt diese Gedanken, indem ihr euch fragt, ob sie auf Tatsachen oder auf euren Wahrnehmungen beruhen. Sucht nach Beweisen, die eure Kompetenz und eure Leistungen belegen. Ich denke, dass ein Coaching hier hilfreich sein kann. 
      
  4. Teilt eure Erfahrungen - Wenn ihr mit anderen Betroffenen über eure Gefühle sprecht, fühlt ihr euch weniger allein. Vielleicht ist es auch hier hilfreich, einen Mentor oder Coach zu finden, der euch anleitet und unterstützt. 
      
  5. Nutzt Second-Level-Thinking, um Entscheidungen zu treffen - Ich möchte, dass ihr darüber nachdenkt, was ihr denkt und was ihr wisst. Zieht dabei keine voreiligen Schlüsse. Überlegt euch, welche Informationslücken ihr habt. 
      
  6. Feiert eure Erfolge - Es ist wichtig, eure Leistungen anzuerkennen und zu feiern, egal wie klein sie auch sein mögen. Denkt daran, euch selbst für eure harte Arbeit zu loben. 
      
  7. Konzentration auf Lernen und Wachstum - Statt euch um Perfektion zu sorgen, konzentriert euch auf Lernen und Wachstum. Nehmt Herausforderungen an und seht Fehler als Gelegenheiten zum Lernen und Verbessern. Eine Wachstumsmentalität ist hier unerlässlich. 
     
  8. Feedback einholen - Holt euch aktiv Feedback von anderen, besonders von denen, die in einem bestimmten Bereich mehr wissen oder erfahren sind. 


Und vergesst nicht, euch nicht mit anderen zu vergleichen. Dies ist oft der Ursprung von Unzufriedenheit. Jeder hat seinen eigenen Weg, und ihr müsst euren finden.
 
 
Quellen: 

  1. Kolligian Jr, J., & Sternberg, R. J. (1991). “Perceived Fraudulence in Young Adults: Is There an ‘Imposter Syndrome’?” Journal of Personality Assessment, 56(2), 308-326. doi:10.1207/s15327752jpa5602_10

  2. Kruger, J., & Dunning, D. (1999). “Unskilled and unaware of it: how difficulties recognizing one’s incompetence lead to inflated self-assessments.” Journal of personality and social psychology, 77(6), 1121. 

 
Dieser Artikel ist eine Übersetzung des Artikels “How to Fight Impostor Syndrome?” von Dr. Milan Milanović, CTO von 3MD und Experte für Softwareentwicklung mit umfangreicher akademischer und industrieller Erfahrung. Sein erfolgreicher Newsletter richtet sich an Software-Ingenieure, Architekten, technische Manager und alle, die im technischen Bereich arbeiten oder sich dafür interessieren. 

 

Bild: Unsplash.com 

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