Trotz Konjunktureinbruch: Fachkräftemangel in MINT-Berufen in Deutschland bleibt bestehen
Digitalisierung und demografischer Wandel erhöhen den Bedarf nach Fachkräften, während sinkendes Bildungsniveau und ungenutzte Potenziale bei unterrepräsentierten Gruppen die Lage verschärfen, so die aktuelle MINT-Studie des IW Köln.
Deutschland kämpft weiterhin mit einem erheblichen Fachkräftemangel in den MINT-Berufen. Trotz eines leichten konjunkturellen Rückgangs und einer damit verbundenen Abnahme der MINT-Lücke bleibt die Situation kritisch, wie der aktuelle MINT-Frühjahrsreport 2024 des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln zeigt.
Leichter Rückgang, aber hohe Nachfrage
Im März 2024 gab es rund 449.300 offene Stellen in MINT-Berufen, denen 213.900 arbeitslose MINT-Fachkräfte gegenüberstanden. Das bedeutet, dass bundesweit mindestens 235.400 Stellen unbesetzt blieben. Unter Berücksichtigung des qualifikatorischen Mismatches ergibt sich eine Arbeitskräftelücke von 244.400 Personen. Im Vergleich zu 307.000 im Vorjahr ist dies ein Rückgang um 20,4 Prozent, doch die Nachfrage bleibt hoch.
Besonders betroffen sind die Energie-/Elektroberufe mit 77.900 unbesetzten Stellen, gefolgt von Maschinen- und Fahrzeugtechnik (45.400), Bauberufen (36.700), Metallverarbeitung (30.900) und IT-Berufen (29.500). Die größte Engpassgruppe bilden die MINT-Facharbeiterberufe mit 111.500 unbesetzten Stellen.
Ursachen des Fachkräftemangels
Der demografische Wandel ist ein zentraler Faktor für den Fachkräftemangel. Jährlich scheiden etwa 64.800 MINT-Akademiker altersbedingt aus dem Arbeitsmarkt aus. Gleichzeitig sinken die Zahl der Studienanfänger in den MINT-Fächern sowie die schulischen Leistungen in Mathematik. Der familiäre Hintergrund spielt eine bedeutende Rolle: Kinder aus bildungsnahen Familien schneiden in Pisa-Erhebungen besser ab.
Zusätzlich erhöhen strukturelle Veränderungen wie die Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografische Entwicklungen den Bedarf an MINT-Fachkräften. 44 Prozent der Unternehmen berichten von einem Mangel an Fachkräften für die Digitalisierung, was den Druck auf den Arbeitsmarkt weiter verstärkt.
Maßnahmen zur Verbesserung
Um dem Mangel entgegenzuwirken, empfehlen die Autoren des Berichts verschiedene Maßnahmen. So müssten die MINT-Bildung und die Chancengleichheit im Bildungssystem verbessert werden. Staatliche Investitionen in das Bildungssystem seien dabei entscheidend. Die Unternehmen sehen diese Investitionen als zentral für die Bewältigung der Transformation an – der Median der Unternehmensantworten auf einer Skala von 0 bis 100 liegt bei 96.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Einbindung außerschulischer MINT-Lernorte wie Schülerlabore in den Schulalltag. Diese könnten durch praktische und kreative Lernangebote das Interesse der Schüler fördern.
Frauen, ältere Arbeitnehmer und Migration als Potenziale
Frauen sind im MINT-Bereich nach wie vor unterrepräsentiert. Eine klischeefreie Berufs- und Studienorientierung ist notwendig, um das Potenzial von Frauen in MINT-Berufen zu heben. Untersuchungen zeigen, dass Mädchen häufig ängstlicher und unsicherer im Umgang mit Mathematik sind als Jungen. Um Vorbehalte abzubauen und das Interesse zu steigern, ist es wichtig, die vielfältigen und kreativen Aspekte der MINT-Berufe hervorzuheben. Die Relevanz der MINT-Fächer für Klimaschutzthemen sollte besonders betont werden, da viele junge Frauen ein großes Interesse an Umweltthemen zeigen. Mentoring-Programme und Vorbilder können ebenfalls dazu beitragen, Mädchen und junge Frauen für eine Karriere in MINT zu motivieren.
Die Digitalisierung und der demografische Wandel erfordern einen längeren Verbleib älterer Arbeitnehmer im Erwerbsleben. Die Studie fordert dafür ein stärkeres Verständnis für das Konzept des lebenslangen Lernens und Investitionen in Weiterbildung auf Unternehmensseite sowie einen Ausbau der Kapazitäten für akademische Weiterbildung auf Hochschulseite. Auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen sollten angepasst werden, um einen späteren Renteneintritt zu fördern und Fehlanreize wie die Rente mit 63 zu vermeiden.
Ein weiterer Schlüssel zur Bewältigung des Fachkräftemangels ist die Zuwanderung, denn ohne Zuwanderungserfolge würden heute zusätzlich rund 442.000 MINT-Fachkräfte fehlen. Gemessen am Anteil an den Patentanmeldungen ist der Beitrag von Migranten zur Innovationskraft Deutschlands bereits hoch. Auch die Beschäftigung ausländischer MINT-Fachkräfte hat in den letzten Jahren stark zugenommen, insbesondere aus Drittstaaten wie Indien. Diese Erfolge spiegeln sich in der Beschäftigungsdynamik von Migranten wider, die als weiteres großes Potenzial zur Lösung der Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt gesehen werden. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der Einführung der Chancenkarte soll die Zuwanderung weiter erleichtert und beschleunigt werden. Die Hochschulen sollten internationale Studierende gezielt unterstützen und ermutigen, in Deutschland zu bleiben.
Steigende MINT-Bedarfe
Künftig wird der Bedarf an MINT-Fachkräften weiter steigen, hauptsächlich durch die Anforderungen der Digitalisierung und des Klimaschutzes. Ein Indikator zeigt sich in der M+E-Industrie (Metall und Elektro), die einen wichtigen Arbeitgeber für MINT-Fachkräfte darstellt. Die Branche investierte 2022 rund 109,7 Milliarden Euro in Innovationen, was 57,5 Prozent der nationalen Innovationsausgaben ausmacht.
Der MINT-Frühjahrsreport 2024 verdeutlicht, dass der Fachkräftemangel in MINT-Berufen weiterhin eine große Herausforderung darstellt. Trotz leichter Besserung bleibt die Lücke groß und es bedarf umfassender Maßnahmen in der Bildung und gezielter Förderung von Frauen und Migranten, um den Bedarf zu decken und die Transformation erfolgreich zu meistern.
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