IT-Karriere: Warum du diese Beförderung lieber nicht annehmen solltest!

Von Marvin Engel und Juliane Gringer
Auf das Angebot einer Führungsposition mit „Nein, danke!“ zu antworten, mag schwerfallen - aber es kann glücklich machen.
Den eigenen Wert nicht an der Teamgröße messen
“Dass man den eigenen Wert an der Zahl der Menschen misst, die einem als Führungskraft unterstellt sind, ist eine veraltete Denkweise“, erklärt der Agile Coach und Projektmanager. Früher habe das mehr eine Rolle gespielt, sagt Engel und denkt dabei auch an private Familientreffen, bei denen Männer die Größe ihrer Teams miteinander verglichen haben. “Das hat ausgedient. Genauso wie das Eckbüro als Elfenbeinturm, in dem sich Führungskräfte verbarrikadieren und aus der Ferne ihre Untergebenen dirigieren. Wenn du das noch willst, ist es keine gute Idee, sich befördern zu lassen.“
Echtes Interesse an Menschen
Eine Chefin habe ihm einmal erklärt, dass sie bei 70 Leuten in ihrem Team natürlich nicht jeden einzelnen kenne. “Ich denke aber, dass genau dies die Aufgabe einer Führungskraft ist“, sagt Engel. “Sie sollte Interesse an jedem einzelnen dieser Menschen haben.“ Der Shifoo-Coach hält das für die größte Stärke und wichtigste Aufgabe in einer leitenden Position - auch weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dann deutlich besser zu motivieren seien. “Wenn du als Chefin oder Chef zeigst, dass du dich für dein Team interessierst, werden sie viel eher dazu bereit sein, ihre Arbeit gut zu machen.“
Der amerikanische Unternehmer Gary Vaynerchuk geht sogar noch einen Schritt weiter und will von allen Mitarbeitern wissen, was sie am liebsten essen oder welches Sportteam sie mögen. Das mag etwas übertrieben erscheinen - die Idee dahinter kann jedoch ein guter Wegweiser sein. Wer also kein starkes Interesse an den anderen Team-Mitgliedern aufbringen kann, sollte zum Angebot einer Führungsposition eher “Nein, danke!” sagen.
Dienende Führung
Moderne Führung, sagt Marvin Engel, sollte im Verständnis von Servant Leadership agieren: “Als Chefin oder Chef verstehe ich mich demnach in einer dienenden Position gegenüber meinem Team. So wie John F. Kennedy gesagt hat, dass du nicht fragen sollst, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst.“ Der dominante Stil, bei dem Vorgesetzte Ansagen machen und Mitarbeiter “gehorchen“, und bei dem Entscheidungen damit begründet werden, dass man “eben der Chef“ ist, sei nicht mehr zeitgemäß. Wenn dieses Konzept die eigene Prämisse ist, sollte man ebenfalls lieber “Nein, danke!” sagen.
Vertrauen und Kooperationsbereitschaft
Führungskräfte müssen sich das Vertrauen und die Kooperationsbereitschaft ihrer Teams erarbeiten und langfristig erhalten. “In einem solchen Arbeitsklima werden schwierige Entscheidungen besser angenommen und man kann auch mal unpopuläre Entscheidungen treffen”, sagt Marvin Engel - weil die Mitarbeiter loyal blieben, wenn sichtbar werde, dass alle gemeinsam durch eine schwere Zeit gehen. Wenn Führungskräfte hingegen, wie in der Vergangenheit oft geschehen, einfach ihre Macht ausspielen, setzen sie darauf, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dennoch im Unternehmen bleiben. Nicht zuletzt wegen des starken Fachkräftemangels ist das aber längst nicht mehr sicher.
In der Gruppe Entscheidungen treffen
“Ich habe gute Vorgesetzte als Menschen erlebt, die ihre Entscheidungen transparent machen“, erklärt Marvin Engel. Im Agilen Management, zu dem er berät, geht man aber noch einen Schritt weiter: Dort gibt es keine Hierarchien, das Team trifft Entscheidungen gemeinsam. “Natürlich braucht man auch da Köpfe, die vorangehen. Aber es passiert gemeinschaftlicher und in der Gruppe. Wer das nicht leben kann oder will, sollte ebenfalls lieber ablehnen, wenn ihm eine Führungsposition angeboten wird.“
Auf inhaltliche Verantwortung setzen
Aber wie geht man mit dem Gefühl um, eine echte Chance verpasst zu haben? “Man sollte hinterfragen, was genau einen an der Position reizen würde“, sagt Marvin Engel. “Wer zum Beispiel in die nächste Gehaltsklasse aufsteigen möchte, kann das sicher auch auf anderem Weg erreichen - zum Beispiel mit inhaltlicher Verantwortung für zusätzliche Aufgaben statt Personalverantwortung für Menschen. Es ist nur legitim zu kommunizieren, dass man genau das möchte.“ Ja, bitte!