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Arbeit in IT-Teams: Schluss mit der Selbstsabotage!
(Bild: Pixabay)
Von Bernard Oakley
In IT-Teams wird vermeintlich objektiver diskutiert als anderswo. Schließlich geht es um Technik! In Wahrheit gewinnt aber auch hier oft der Lauteste.
Man kennt es aus Actionfilmen: Wenn Tom Cruise ein Spezialteam für eine Mission Impossible braucht, werden die Besten der Besten rekrutiert. Das Team arbeitet sofort optimal zusammen, jede Person bringt ihr Fachgebiet ein, exakt das Wissen, das benötigt wird.
Die Filme lassen aber ein wichtiges Element meist aus: Effektive Zusammenarbeit will gelernt sein und klappt nicht einfach so. Denn instinktiv wenden Menschen auch destruktive Mechanismen an - zum Beispiel, wenn sie Ideen vorzeitig verwerfen. Das ist oft auch in IT-Projekten zu bemerken, wo besonders häufig mit Daten als "objektive Wahrheit" argumentiert wird, aber in Wirklichkeit viel Subjektives dahintersteckt.
Zum Beispiel hat in einem Team wohl jedes Mitglied ein Faible für eine bestimmte Programmiersprache - weil sie dem eigenen Stil entspricht oder man gute Erfahrungen damit gemacht hat. In einer Diskussion um die geeignete Programmiersprache für ein Projekt wird aber selten gesagt "Ich mag sie lieber", sondern eher "Dieser Stil ist objektiv besser lesbar" oder "Der Compiler kann hier effizienteren Code produzieren". Es sind Argumente, die objektiv erscheinen, weil sie technisch klingen, in Wirklichkeit aber einen großen subjektiven Faktor haben.
IT-Teams sind deswegen besonders anfällig dafür, dass die Ideen oder Vorschläge mancher nicht gehört werden. Es gewinnt einfach derjenige, der am geschicktesten (oder am lautesten) argumentiert. Das kann andere im Team frustrieren, vielleicht verlassen manche deswegen sogar das Unternehmen. Um ein Team zusammenzuhalten und die Stärken all seiner Mitglieder zu entdecken und zu fördern, sind konstruktive (statt destruktive) Ansätze nötig.
Zwei der wichtigsten sind:
- eine "Ja, und zusätzlich ..."-Rhetorik und
- Selbstsabotage verhindern.
Ich bin als Coach für IT-Teamleiter in mehreren Firmen tätig. Einer dieser Teamleiter, angestellt bei einer großen Kleiderkette, stand im vergangenen Jahr vor einer großen Herausforderung: Als wegen der Covid-19-Pandemie die Geschäfte schließen mussten, musste er sich überlegen, wie die Firma Kunden halten und online beliefern konnte.
Ich wurde also dazugeholt, als es um die Details dieser neuen Planungen ging. In unseren Gesprächen stellten wir recht schnell fest, dass im Team eine destruktive Diskussionskultur vorherrschte, die an vielen Beispielen zu sehen war.
Anna (im Videocall): "Ich glaube, wir brauchen eine Zahlungsmöglichkeit per Kreditkarte."
Thomas: "Also, ich weiß nicht ... Ich denke, heutzutage sollte alles mit Apple Pay und Paypal laufen, oder?"
Frank: "Ich zahle alles mit Überweisungen. Kreditkarte brauchen wir nicht, bleiben wir bei Überweisungen. Aber es muss eine App sein."
Anna: "Eine App? Aber wenn, dann nur iPhone - das ist die kaufkräftige Schicht."
An dieser Diskussion wird der destruktive Ansatz deutlich, der in unserer Psychologie angelegt ist - ein automatisierter Abwehrmechanismus. In Planungs- und Kreativmeetings ist das jedoch wenig hilfreich. Es wird nicht auf den Ideen anderer aufgebaut, die lauteste Stimme gewinnt, bei den anderen kann das zu Selbstzensur führen.
Um das Meeting erfolgreich zu führen, ist eine "Ja, und zusätzlich"-Rhetorik hilfreich, die aus dem Improvisationstheater bekannt ist: Negative Antworten und "aber"-Antworten sind verboten, man startet jeden Satz mit "Ja, und ...".
Auf dieser Basis haben wir Szenarien aufgebaut, wie das obige Gespräch mit "Ja, und ..." hätte ablaufen können:
Anna: "Ich glaube, wir brauchen eine Zahlungsmöglichkeit per Kreditkarte."
Thomas: "Ja, und wir sollten eine einfache Möglichkeit einbauen, andere Zahlungsarten anzufordern, damit wir mehr über den Kundenbedarf lernen."
Frank: "Ja, und zusätzlich sollten wir auf jeden Fall eine nicht digitale Zahlungsweise wie Überweisungen unterstützen."
Anna: "Ja, und für nicht digitale Zahlungsweisen können wir alternativ auch Nachnahmen evaluieren."
Frank: "Ja, und hatten wir nicht eine Umfrage vor drei Jahren, welche Zahlungsarten unsere Kunden sich wünschen? Wir sollten sie finden und noch einmal durchsehen."
Thomas: "Ja, und es gibt sicher Studien und Artikel dazu, die aktuell sind. Wir sollten drei bis fünf Artikel zum Thema finden und auswerten, um unsere Priorität zu definieren."
Innerhalb von nur zwei Minuten hätte in einem solchen Szenario jedes Teammitglied etwas Neues gelernt: Thomas wusste nichts von der Studie vor drei Jahren, Frank hätte nicht daran gedacht, externe Literatur zu suchen. Der "Ja, und ..."-Ansatz hätte also zu besseren Ergebnissen geführt.
Dieses Beispiel wurde dem Team präsentiert und schon nach wenigen Wochen wurden nicht nur bessere Ergebnisse sichtbar, sondern es gab auch eine höhere Zufriedenheit bei jedem Teammitglied. Salopp formuliert: Es war plötzlich mehr Schwung im Team.
Selbstsabotage verringern
Eine weitere destruktive Tendenz, die sich in einem Team negativ auswirken kann, ist die Selbstsabotage. Sie kann in Teammeetings vorkommen, steckt aber eigentlich in jedem Einzelnen von uns. An einem einfachen Szenario konnte ich diese Selbstsabotage an mir selbst beobachten, bei einer Präsentation vor fünf Teammitgliedern.
Während ich präsentierte, bemerkte ich, dass ein Kollege am Laptop tippte und ein anderer mit dem Handy herumspielte. Ohne Verzögerung trat bei mir die menschliche Standardreaktion ein: negative Selbstsabotage, also Wut ("Die Person ignoriert mich!") und Selbstkritik ("Mein Vortrag ist nicht gut genug."). Mit diesen Emotionen konnte ich keine gute Präsentation abliefern.
Viel später lernte ich: Diese Selbstsabotage ist evolutionär verankert, aber heutzutage nicht mehr hilfreich. Externe Trigger wie handyspielende Zuhörer sind eine Irritation. In der Evolution des Menschen waren Irritationen meist mit Gefahr gleichzusetzen. Sie signalisieren dem Gehirn, dass es in den Reaktionsmodus gehen sollte - welcher meistens Aktivierung (Wut) oder Defensive (Rückzug) ist. Einst hat diese Aktivierung die Überlebenschancen eines Menschen erhöht. Denn wenn er auf Unerwartetes keine Reaktion zeigte, ging das sicher häufig schlecht für ihn aus.
Heutzutage verhindern solche Reflexe aber vor allem die Möglichkeiten, das eigene Verhalten zu verbessern. Mit diesem Wissen dachte ich über die Situation von damals noch einmal nach und überlegte, wie ich einen positiven Ansatz hineinbringen könnte, zum Beispiel:
- indem ich die eigene Empathie stärke und mich frage: Tippt die Person vielleicht am Handy, weil etwas im Privaten vorgefallen ist? Sind die Kinder krank und müssen aus der Schule abgeholt werden?
- indem ich meine Präsentationstechnik verbessere. Ich könnte einen Dialog mit der Person am Laptop starten und fragen, wie ich die Präsentation besser an ihre Bedürfnisse anpassen könnte. Selbst wenn diese Anpassung spontan nicht möglich ist, hätte man doch etwas für die nächste Präsentation gelernt.
Selbstsabotage gibt es aber auch in vielen anderen Situationen. Zum Beispiel, wenn ich merke, dass ich einem Kollegen nicht mehr vertraue und beginne, Mikro-Management zu betreiben, anstatt mit ihm darüber zu reden. Tägliche Trainings machen es leichter, solches Verhalten Tag für Tag, auch im Moment selbst, zu erkennen und darauf zu reagieren.
Zu solcherlei Selbsterkenntnis und damit einer besseren Teamstimmung kann jedes Teammitglied beitragen, nicht nur die Führungskraft. Jeder und jede kann sich auf konstruktive Kommunikation und auf eine Umwidmung der Selbstsabotage fokussieren.
Dabei ist es mit Verhaltensweisen wie mit der Körperfitness - einzelne Aktionen zur Verbesserung sind hilfreich, am effektivsten ist aber Konsistenz mit einem Langzeitziel. Beim Joggen wäre das zum Beispiel eine Zielzeit pro Distanz. Auf die Arbeit in einem IT-Team übertragen, wären das Ziele, die in sechs bis zwölf Monaten erreicht werden sollten. Zum Beispiel, dass sich folgende Verhaltens- und Denkweisen tief einprägen:
- "Wenn jemand meine Idee kritisiert, soll ich keinen Schwall an negativen Energien spüren."
- "Eine stundenlange Debugging-Session soll keinen dominanten Frust mehr erzeugen."
- "80 Prozent meiner Projekte sind mit Inputs von Kollegen umgesetzt worden und am Ende besser, als wenn ich die Arbeit alleine gemacht hätte."
Jede Person kann diese Ziele klar für sich selbst messen und mit Kollegen und Freunden teilen. Die ersten positiven Effekte für das Team und für die einzelne Person sind oft schon sehr bald sichtbar. Eine Vertiefung über die Dauer von zwölf Monaten wäre die Kür, die es ermöglicht, diese optimalen Verhaltensweisen zur zweiten Natur werden zu lassen.
Ich betrachte ein Team oft als eine Art Teleskopball: Im Standardzustand ist der Ball solide und rund, er funktioniert und hat eine bestimmte Größe. Wenn aber jede Person sich Zeit zum persönlichen Wachstum nimmt, wird das Team stärker, die Verbindungen klappen auch auf größere Distanz, der Ball wird insgesamt größer. Bei Teams zeigt sich das dann sowohl in mehr Spaß bei der Arbeit als auch in besseren Ergebnissen.
Der Autor hat diesen Text unter Pseudonym geschrieben, um seine Erfahrungen möglichst konkret machen zu können, der Name ist der Redaktion bekannt. Zu seinem Hintergrund sei gesagt: Er arbeitet bei einem großen IT-Konzern und hat dort schon häufiger internationale Teams in Infrastruktur- und Forschungsprojekten geleitet.
veröffentlicht am 27. Mai 2021, auf Aktualität geprüft am 8.4.2022