Generation Why - Arbeiten mit Sinn und Zweck
(Bild: Drew Angerer/Getty Images)
Von Sebastian Gluschak veröffentlicht am
Geld allein reicht nicht mehr aus. Auch in Tech-Unternehmen geht es jetzt um Spaß, Sinn und Zweck, um Weltverbesserung und Mehrwert. Aber was haben Unternehmen und Mitarbeiter eigentlich von diesem sagenumwobenen "Purpose"?
Gäbe es so etwas wie das Business-Wort des Jahres, "Purpose" hätte 2018 durchaus gute Chancen gehabt. Das Buzzword, das in manchen Kreisen einem Glaubensbekenntnis gleichkommt, kann ungelenk und unvollständig mit Unternehmenszweck übersetzt werden. Die Apostel dieser neuen Strömung sehen in dem Begriff jedoch mehr als das Handlungsfeld einer Firma, er soll die Existenzberechtigung der Organisation beschreiben: Wonach strebt sie? Fernab von eindimensionaler Profitdenke soll das die Frage beantworten, welcher Mehrwert der Gesellschaft zugeführt wird. Oft werden dabei neben der wirtschaftlichen Komponente noch das Soziale und die Umwelt miteinbezogen.
Dass das mehr als Hippie-Geschwafel ist, bewies Anfang 2018 Blackrock-CEO Larry Fink, Chef einer der weltgrößten Investmentgesellschaften und der Inbegriff des auf grenzenlosem Wachstum fußenden Kapitalismus. In seinem Neujahrsbrief forderte er von Unternehmen unmissverständlich, neben Profitmaximierung einen deutlichen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten, ansonsten würde Blackrock nicht investieren. Ob der Sieben-Billionen-Euro-Fonds dieser Manifestation nachkommt, bleibt abzuwarten, die Signalwirkung aber war gigantisch. Seitdem hagelte es Artikel in den Medien, Unternehmensberatungen positionierten sich zu dem Thema, Konferenzen vergaben Purpose-Slots.
Was so philosophisch klingt, soll ein Tool sein
Die Apostel gewannen also an Anhängerschaft, aber reicht das, um die großen Manager zu überzeugen? Im Kontext von Globalisierungsfolgen, Klimawandel und Co. mag vielen Menschen die Notwendigkeit einer holistischeren Wirtschaftsbetrachtung einleuchten, aber aktuell scheint so ein Purpose doch rein intrinsischen Motiven zu entspringen. Denn was bleibt unterm Strich? Was hat ein datengetriebener Unternehmer, was ein Programmierer von diesem sagenumwobenen Trend? Und wie äußert sich das im Geschäftsalltag?
"Ein effektiv eingesetzter Purpose dient Organisationen als transparentes Tool, um Entscheidungen strategisch kohärent zu treffen", sagt Hans Rusinek, Seniorstratege bei der Purpose-Beratung Brighthouse. Das könne auf ganz verschiedenen Ebenen stattfinden: Ist das Akquisitionsziel strategisch passend? Wird der Bewerber durch die gleichen Faktoren motiviert wie der Rest des Teams? Oder ganz praktische Themen: Passt ein Open-Source-Tool nicht besser zu unserer Kultur als das von Microsoft übernommene Github? Jede Entscheidung soll also mit dem Purpose begründet und gerechtfertigt werden können. So werde die Integrität erhöht, die Organisation schütze sich vor Opportunismus, der langfristig möglicherweise schädlich sei oder nicht der Überzeugung der Unternehmer entspreche.
Die vielzitierte Disruption ganzer Industrien durch digitale Geschäftsmodelle sei ein klassischer Auslöser für etablierte Unternehmen, sich mit der Sinnfrage zu beschäftigen, sagt Rusinek. So wie Telefonnetzanbieter heute Konnektivität als Ganzes anbieten, werden Autohersteller beispielsweise peu á peu zu holistischen Mobilitätsdienstleistern.
"Typische Kunden sind große Konzerne, die global verteilt sind und eine gewisse interne Intransparenz mit sich bringen", erklärt Rusinek. "Sie wollen meistens ihren Anfangszauber wieder zum Leben erwecken, um eine gemeinsame Sprache zu sprechen." Darin sei auch der Glocal-Gedanke enthalten: Man wolle lokal unabhängig arbeiten, aber zu einem übergeordneten, globalen Ziel beitragen.
Das ist auch wunderbar auf die Tech-Welt übertragbar, in der virtuelle Teams und Remote Work zunehmend zum Standard werden und immer mehr Spezialisten sich für die Freiberuflichkeit entscheiden. Je weniger direkte Kommunikation und kultureller Austausch innerhalb eines Teams stattfinden, desto mehr gewinnt ein eindeutiges, übergeordnetes Ziel an Bedeutung, an dem sich jeder Einzelne orientieren kann.
Voraussetzung dafür ist laut Rusinek das Erlebbarmachen des Purpose - ob das nun Motivations-GIFs, Purpose-Awards oder harte KPIs (Key Performance Indicators, auf Deutsch: Leistungskennzahlen) sind. "Nur wenn der Purpose wirklich das Verhalten beeinflusst, ist er brauchbar."
Nun leben wir in einer Welt, in der Verhaltensweisen hartgecoded werden. Trading-Algorithmen, Industrieroboter und selbstfahrende Autos nutzen das maschinelle Lernen, um ihre Entscheidungen kontinuierlich zu verbessern. Ihre Integrität geht also nur so weit, wie sie anfangs in die Software eingebettet wurde, und meistens ist das eine Optimierung von einer oder wenigen Variablen. Was aber, wenn sich die Industrie, das Ökosystem ändert - erkennt die Maschine das und passt ihre Optimierung an?
Heute kaum vorstellbar. Solange die künstliche Intelligenz noch nicht die Kurzweilsche Singularity erreicht hat, wird der Mensch als Korrektiv einspringen müssen. In diesem Kontext kann ein klar artikulierter Purpose nicht nur als strategisches Tool, sondern auch als moralischer Kompass dienen. Denn solange wir in einer menschenzentrierten Welt leben, in der eine humanistische Ethik gelten soll, werden es Menschen sein müssen, die sie kontrollieren.
So ein Purpose ist eine Menge Arbeit
Und die aktuelle Generation verlangt eine sinnvolle Beschäftigung, suggerieren mehrere Studien. Millennials sowie die Generation Z, also alle, die nach 1980 geboren sind, sind nicht mehr allein mit Geld zu locken. Ein Bericht der Lovell Corporation zeigt: Unter den drei wichtigsten Faktoren bei der Berufswahl ist Einkommen nicht dabei - Spaß bei der Arbeit und soziale Verantwortung des Unternehmens dagegen schon.
Das bestätigt, was Dan Pink in seinem Buch Drive bereits 2009 postulierte: Selbstbestimmung, Perfektionierung und Sinnerfüllung seien die drei Hauptpfeiler der Motivation im Job. Und des Glücks: Ein höheres Sinnempfinden führt nicht nur zu mehr Zufriedenheit im Arbeitsalltag, sondern im Leben überhaupt. Dem Fehlzeiten-Report 2018 zufolge sind Mitarbeiter mit hoher Sinnerfüllung auf dem Job rund neun Tage krank im Jahr - Angestellte, denen der Sinn fehlt, sind knapp 20 Tage krank.
Auch die nackten Zahlen sprechen für den Purpose. Unzählige Studien (diese, diese oder auch diese) zeigen, dass sinnbehaftete Unternehmen langfristig finanziell erfolgreicher sind, auch die börsengelisteten Quartalszahlen-Lieferanten. Auf bis zu 15-mal höheren Ertrag als bei durchschnittlichen Unternehmen können ihre Aktionäre hoffen. Das Silicon Valley macht es vor, ob Facebook ("Make the world more open and connected") oder Tesla ("Accelerate the world's transition to sustainable energy"): Ein Großteil der Tech-Unicorns lässt sich vom Heiligenschein des Purpose leiten.
Facebook mit Problemen
Der Managementexperte und Autor Jim Collins sieht die Verantwortung für den Purpose stark in den Führungspositionen. Wer es schaffe, höheren Sinn, menschliche Empathie und Gewinnermentalität zu vereinen - in seiner Sprache ein Level 5 Executive -, habe zweifelsohne mehr Erfolg. Bestes Beispiel dafür: die Unternehmer-Ikone Steve Jobs. Was mitnichten heißen muss, dass sie dadurch eine bessere Welt gestalten, wie die prekären Arbeitsbedingungen einiger iPhone-Zulieferer nahelegen. Der Glaube aber, zu etwas Höherem beizutragen, lässt die Mitarbeiter mitunter Berge versetzen.
Wenn der Glaube an den Sinn aber nachlässt, kann aus dem Berg ein Vulkan werden. Facebook bekommt nach den etlichen Skandalen des vergangenen Jahres das Mistrauen seiner Mitarbeiter zu spüren. Die Atmosphäre sei toxisch, berichtet Buzzfeed, immer mehr Mitarbeiter erwägten zu kündigen, schreibt CNBC. Ein Sprecher nennt es hinsichtlich der Firmenkultur "eine herausfordende Zeit". Schwierig für ein Unternehmen, das ohne hochtalentierte Coder nicht wäre, was es ist. Was ihnen aber versprochen wurde, war die Welt zu vernetzen - und nicht Nutzerdaten mit Amazon-Konten.
Wenn also so viel dafür spricht, warum macht es dann nicht jeder? "Einen Purpose wirklich zum Leben zu erwecken ist anstrengend und kann ressourcenintensiv werden", sagt Hans Rusinek. Denn es kann bedeuten, Dinge anders zu machen als vorher, und Wandel kommt immer mit Schmerzen daher. Hinsichtlich der Mitarbeitermotivation sieht Rusinek hauptsächlich Vorteile, doch gehe es dabei nicht darum, jede Aufgabe nach ihrem Sinn zu hinterfragen. Sonst drohe ein Chaos der Sinnsuche. Eine richtige Einbettung des Purpose sei also auch erforderlich, um die neu gewonnene Energie zu kanalisieren. "Der Prozess der Sinnfindung hört nicht mit dem richtig formulierten Text auf - er beginnt dort erst", fasst Rusinek zusammen.
Es bleibt zu beobachten, ob Unternehmern die Sinnstiftung mehr als nur ein Lippenbekenntnis wert ist. Ihre Angestellten sollten darauf hoffen, denn es macht sie effizienter und glücklicher.