Onboarding in Coronazeiten: Neu im Job und dann gleich Homeoffice
(Bild: Pexels)
Ein Bericht von Manuel Heckel veröffentlicht am
In der Coronakrise starten neue Mitarbeiter aus der Ferne in ihren Job. Technisch ist das kein Problem, die Kultur kommt virtuell jedoch schwerer an.
Martin Jara wurde zum Einstand mit einer Pizza Vegetariana begrüßt. Er startete Anfang Mai als Vorstandschef bei der Schweizer Versicherung Helvetia - natürlich aus dem Homeoffice. Nach dem ersten Online-Kennenlernen klingelte um 12 Uhr ein Pizzabote an seiner Haustür, berichtet Jara bei Linkedin: "Das nenne ich eine schöne Überraschung."
Ungewöhnliche erste Stunden im neuen Job erleben in diesen Tagen Einsteiger und Stellenwechsler auf allen Hierarchieebenen. Ob Chef, ob Teamleiterin, ob Entwickler oder Marketing-Spezialistin: Anstelle der ersten Fahrt ins Büro, etwas aufgeregt, häufig overdressed, klappen viele angehende Angestellte in Homeoffice-Zeiten einfach ihr Laptop am Wohnzimmertisch auf - und sind plötzlich an ihrer neuen Arbeitsstelle.
Das ist eine Herausforderung, für Mitarbeiter wie auch für Unternehmen. Denn in vielen Organisationen hat das sogenannte Onboarding mittlerweile einen hohen Stellenwert. Dort hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Eine gut strukturierte Einführungsphase ist zentral für eine erfolgreiche gemeinsame Arbeit.
91 Prozent der Personalverantwortlichen sind überzeugt, dass durch eine solche Starthilfe die fachliche Integration verbessert und beschleunigt werden kann. Das besagt eine Umfrage des HR-Spezialisten Haufe, der im vergangenen Jahr 616 Experten befragte (hier zugänglich nach kostenloser Registrierung). Sogar 94 Prozent glauben, dass ihre Onboarding-Maßnahmen elementar für die soziale Integration ins neue Unternehmen sind.
In Coronazeiten müssen Personalverantwortliche und neue Angestellte plötzlich umdenken. Nicht nur das Recruiting wird aktuell zu immer größeren Teilen remote absolviert. Auch das Onboarding muss über die Distanz funktionieren, das gegenseitige Kennenlernen geschieht am Bildschirm. Wer in diesen Tagen bei Unternehmen und Experten nachfragt, der erfährt: Prinzipiell funktioniert das digitale Einarbeiten besser als gedacht - doch der Teufel steckt häufig im Detail.
Die Startphase wird virtuell
Vorteile haben jene Unternehmen, die sich bereits vorher Gedanken über die gemeinsame Startphase gemacht haben. "Grundsätzlich ist das Remote Onboarding gar nicht so anders", sagt Matthias Schleuthner, Gründer der Stellenvermittlungsplattform 4Scotty, "man muss die gleichen Dinge beachten wie zuvor."
Die IT-Beratung Tata Consultancy Services (TCS), die Mitte März weltweit mit fast allen der 400.000 Mitarbeiter ins Homeoffice gegangen ist, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Im April und Mai starteten im deutschen Team jeweils etwa zehn neue Angestellte - von daheim. "Weil wir das Onboarding seit vielen Jahren sehr strukturiert durchführen, war es relativ einfach, es zu digitalisieren", sagt Frank Karcher, Personalchef von TCS in Deutschland und Österreich.
In normalen Zeiten lernen neue Angestellte den Konzern und die Arbeitsweisen an zwei vollgepackten Tagen intensiv kennen. Das findet weiterhin statt, jetzt aber via Microsoft Teams. Laptop und Smartphone erreichen die Einsteiger kurz vor ihrem Start, dann geht es in Slots von 30 bis 45 Minuten durch die TCS-Welt: Wie arbeiten bestimmte Funktionen im Konzern? Wer berichtet an wen? Wie rechnet man Reisekosten ab - wenn denn irgendwann wieder gereist wird?
Das virtuelle Format hat hier sogar Vorteile: Führungskräfte müssen für Seminare nicht zu anderen Standorten reisen, sondern können sich flexibler dazuschalten. "Wir wollen die Mitarbeiter kulturell abholen und die Informationen so vermitteln, dass vom dritten Tag an die Einarbeitung in den Projekten erfolgen kann", gibt Karcher als Ziel aus.
Ähnlich ist Omikron Data Quality vorgegangen. Das Software-Unternehmen mit etwa 160 Mitarbeitern zögerte erst, als der erste Arbeitstag einer neuen Account-Managerin anstand. Und zog den Einstieg dann virtuell durch: Der Schulungsplan kam per Mail, die Teams-Termine via Outlook - und beim ersten unternehmensweiten Meeting nach dem Start der Angestellten wurde sie in großer Runde vorgestellt. "Da haben alle gleichzeitig 'Willkommen' gechattet", erinnert sich Personalchefin Ina Franzke.
Wissen aus dem Wiki
Eine besondere Rolle kommt in Remote-Zeiten einer sauberen Dokumentation zu. Bei Omikron gehört zur Einarbeitung das Tool Confluence, in dem Mitarbeiter sich und ihre Arbeit in Blogposts vorstellen.
Das Programm ist auch bei 4Scotty im Einsatz, mit einem eigenen "Onboarding"-Wiki. "Da schreibt jeder seine Erfahrungen auf, damit der Nächste davon profitieren kann", sagt Schleuthner. Eine Erkenntnis: Lange Zeit blieben noch Informationsgräben im Team - wer im Tech-Bereich startete, wusste nicht, was im Marketing passiert.
Die Einarbeitung aus der Ferne bleibt anspruchsvoll. Das US-Softwareunternehmen Gitlab, das mit seinen etwa 800 Mitarbeitern weltweit komplett auf Büros verzichtet, hat jeden einzelnen Prozess in einem 5.000 Seiten starken Handbuch hinterlegt. Neue Angestellte erhalten zum Start eine Checkliste mit bis zu 200 Mini-Aufgaben, um sich mit der Firma vertraut zu machen. Dennoch sei das Onboarding "die schwerste Aufgabe des Remote-Arbeitens", sagt Darren Murph, Head of Remote bei Gitlab.
Kommunikation ist King
Diese Herausforderung spüren zahlreiche Unternehmen. Gerade im IT-Umfeld sind viele Firmen stolz auf ihre Kultur - über den Bildschirm lässt sie sich jedoch deutlich schwieriger transportieren. Sorgen, dass die Account-Managerin an den Systemen des E-Commerce-Spezialisten scheitert, hatte Omikron nicht. "Wir haben uns eher gefragt, wie wir den Spirit transportieren können", sagt Franzke. "Normalerweise grüßen sich bei uns schon alle am Empfang."
Bei TCS etwa ist das nach den ersten zwei Remote-Onboarding-Phasen indirekt spürbar: Die Zufriedenheit der Kollegen hätte sich nicht messbar verschlechtert, betont Manager Karcher. Zahlreiche Nachfragen der neuen Angestellten kommen jedoch jetzt bei der Organisatorin des Onboardings an.
Normalerweise würden diese Themen im Kollegenkreis geklärt - sei es beim Hotelfrühstück bei einem Projekt oder beim Feierabendbier. "Nach der offiziellen Veranstaltung sitzt man jetzt nicht mehr zusammen, sondern jeder für sich in seinem Wohnzimmer", so Karcher. "Das Soziale ist das, wo wir nachlegen müssen."
In kleinerem Maßstab beschäftigt sich auch Personalvermittler Schleuthner mit dieser Herausforderung. Sein zwölfköpfiges Team arbeitet ebenfalls überwiegend remote. Für seine Firma hat er eigene Zoom-Räume aufgesetzt: Im Watercooler sollen sich die Mitarbeiter zufällig virtuell über den Weg laufen, zum gemeinsamen Lunch trifft man sich ebenso digital. Seine Erfahrung, gerade in der Startphase: "Man kann nicht überkommunizieren."
Ein Mentor für neue Mitarbeiter
Doch gerade für neue Mitarbeiter ist das oft eine Überwindung: Schon fachlich tauchen ständig Nachfragen auf - nerven will niemand. Das Abgucken von Arbeitsweisen oder Prozessen fällt auf die Distanz jedoch meistens aus. Die Herangehensweise in vielen Unternehmen: Eine erfahrene Kollegin steht als Patin oder Mentorin parat, um genau in solchen Momenten zu helfen.
Omikron etwa wählt dafür bewusst einen Kollegen aus einer anderen Abteilung aus. "Da soll es auch um Fragen unabhängig vom Fachlichen gehen", sagt Personalleiterin Franzke.
Dieses Modell hat sich im Büro-Alltag bewährt. Gerade virtuell kann der Pate über stetiges Anpingen aber besonders gut signalisieren: Ich helfe dir und freue mich über deine Fragen. "Ohne ein solches Modell fühlt man sich als neuer Mitarbeiter im Homeoffice wie auf einer verlassenen Insel", sagt Personalvermittler Schleuthner.
Gitlab teilt neuen Mitarbeitern für die ersten vier Wochen einen "Onboarding-Buddy" zu - als Eins-zu-eins-Kontakt, wie Murph sagt. Zur Aufgabe des Begleiters gehören auch die Verabredungen mit anderen Kollegen zu digitalem Mittagessen oder Kaffeepause. 4Scotty setzt dabei gerade zum Start auf eine stetige bildliche Verbindung von Beginner und Pate: "Die sind ständig miteinander verzoomt - in der ersten Woche ist das eine Standleitung", sagt Schleuthner.