Bewerbungsflut durch generative KI-Tools
Die Verbreitung von generativen KI-Tools im Bewerbungsprozess führt zu einer Flut an standardisierten Bewerbungen, was die Arbeit für Recruiter zunehmend erschwert.
Etwa 50 Prozent aller Jobsuchenden setzen mittlerweile künstliche Intelligenz (KI) ein, um ihre Bewerbungsunterlagen zu erstellen, wie ein aktueller Bericht der Financial Times zeigt. Die zunehmende Nutzung von generativen KI-Tools wie ChatGPT zur Erstellung von Lebensläufen, Anschreiben und zum Ausfüllen von Bewerbungsformularen führt zu einer regelrechten Flut von Bewerbungen, die Arbeitgeber und Recruiter vor erhebliche Herausforderungen stellt.
Khyati Sundaram, CEO der Recruitingplattform Applied, spricht von mehr als doppelt so vielen Kandidaten pro Stelle bei gleichzeitig sinkender Qualität der Bewerbungen. Umfragen bestätigen diesen Trend: Laut dem Recrutingsoftwaredienstleister Beamery nutzen 46 Prozent der britischen Jobsuchenden generative KI für Bewerbungen, während eine globale Canva-Umfrage ergab, dass 45 Prozent KI zur Verbesserung ihrer Lebensläufe einsetzen.
Automatisierte Bewerbungen an Mustern erkennbar
Die Qualität der KI-generierten Bewerbungen lässt oft zu wünschen übrig. Andy Heyes vom Personaldienstleister Harvey Nash berichtet von "verräterischen Anzeichen" wie amerikanischer Grammatik (in englischsprachigen Bewerbungen) und nichtssagenden Formulierungen. Victoria McLean von der Karriereberatung CityCV warnt, dass KI-generierte Bewerbungen oft die Persönlichkeit und Geschichte des Kandidaten vermissen ließen.
Eine Studie des Software- und Beratungsunternehmens Neurosight zeigt zudem Unterschiede zwischen Nutzern der kostenlosen und der kostenpflichtigen Version von ChatGPT auf. Bewerber, die die Bezahlversion nutzen, schneiden in Eignungstests deutlich besser ab, was Fragen der Fairness und Chancengleichheit aufwirft.
Diese Entwicklung ist vor dem Hintergrund eines aktuellen konjunkturellen Einbruchs sowie längerfristiger Trends wie Onlinebewerbungen zu sehen, die im Allgemeinen die Sichtbarkeit von Stellenangeboten für eine größere Zahl potenzieller Bewerber erhöhen und den Bewerbungsprozess vereinfachen.
Personaler nutzen selbst KI
Gleichzeitig nutzen auch Recruiter selbst verstärkt KI, jedoch in anderen Bereichen. Anstelle von generativen KI-Tools werden auf maschinellem Lernen basierende Rekrutierungs- und Screening-Programme eingesetzt, um die Effizienz zu steigern und den Auswahlprozess zu beschleunigen, sei es durch das Parsen von Lebensläufen, das Matching von Kandidaten, automatisierte Bewertungen oder die Terminierung von Vorstellungsgesprächen. Das Design hinter diesen Technologien ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Bewerber ihre Unterlagen zunehmend gezielt optimieren, beispielsweise über die Anpassung von persönlichen Angaben und die Einstreuung positionsrelevanter Keywords, um die Recruiting-Algorithmen zu überlisten. Was den ursprünglichen Zweck der Qualitätsbewertung in Frage stellt.
Insbesondere generative KI wie ChatGPT wird bislang jedoch nur von 27 Prozent der Personalverantwortlichen aktiv eingesetzt oder erprobt. In europäischen Ländern wie Deutschland und Frankreich sind es sogar nur 5 bis 6 Prozent. Diese Zahl könnte sich jedoch schnell ändern, denn wie eine Studie von Linkedin zeigt, schätzt die Mehrheit der Talentakquisiteure, nämlich 62 Prozent, die Auswirkungen von KI auf den Rekrutierungsprozess optimistisch ein.
Die Linkedin-Studie zeigt zudem, dass die größten Vorteile der generativen KI in der schnelleren und einfacheren Erstellung von Stellenbeschreibungen, der Automatisierung von Aufgaben und der Reduktion von Routinearbeiten liegen. Dennoch betonen Experten, dass der menschliche Faktor im Rekrutierungsprozess unerlässlich bleibt, insbesondere wenn es um Soft Skills wie Kommunikation, Beziehungsaufbau und Anpassungsfähigkeit geht, die in den nächsten Jahren immer wichtiger werden.
Ein weiterer Bericht vom Unternehmensberater Mercer, der sich mit dem strategischen Einsatz von KI in der Talentakquise befasst, unterstreicht die Herausforderung, vor der viele Unternehmen stehen: Trotz des Potenzials von KI setzen 42 Prozent der befragten Unternehmen diese Technologie derzeit nicht in ihrer Talentakquise ein und planen dies auch nicht. Gründe dafür sind unter anderem mangelnde Systemintegration und unzureichendes Wissen über die Effizienz der verfügbaren Tools.
Generell sehen sich Recruiter und Unternehmen mit weitaus größeren Herausforderungen konfrontiert als den potenziellen Nachteilen homogenisierter Bewerbungen. Themen wie die Bindung und Gewinnung von Talenten, die psychische und physische Gesundheit der Mitarbeiter sowie die Verbesserung der Personalplanung und -analyse stehen bei den meisten Unternehmen weit oben auf der Prioritätenliste für 2024.
Angesichts dieser dynamischen Entwicklungen wird deutlich, dass der Einsatz von KI im Rekrutierungsprozess sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringt. Recruiter und Unternehmen müssen daher strategisch vorgehen, um die Vorteile von KI-Technologien zu nutzen, ohne dabei die essenziellen menschlichen Aspekte des Rekrutierungsprozesses zu vernachlässigen. Die Balance zwischen Technologie und Menschlichkeit bleibt der Schlüssel, um die besten Talente für die Zukunft zu gewinnen.
Bild: KI-generiert mit Midjourney