Arbeit im Amt: Wichtig ist ein Talent zum Zeittotschlagen
Ämter als Arbeitgeber haben einen schlechten Ruf. Zu Recht oder ist das ein Vorurteil? Ein junger Fachinformatiker erzählt von seinem Arbeitsalltag in Unternehmen und einer Behörde.
Aufgezeichnet von Peter Ilg
Hauptsächlich war es meine Mutter, die mich in einen Job bei einer Behörde gedrängt hat, obwohl es mein Vater ist, der im öffentlichen Dienst arbeitet. Sicherer Job, sagte meine Mutter, total entspanntes Arbeiten, gute Fortbildungsmöglichkeiten, regelmäßig steigendes Gehalt und die Arbeitsstätte nur fünf Kilometer von daheim entfernt. Zur alten Stelle musste ich eine Stunde fahren. Ich habe den Fehler gemacht und auf meine Mutter gehört.
Meinen Namen will ich nicht nennen, denn das gäbe nur Ärger. Vielleicht daheim, eventuell von der Behörde, bei der ich war, möglicherweise bei meinem jetzigen Arbeitgeber, weil ich als Nestbeschmutzer gelten könnte. Daher bleibe ich anonym, versichere aber, dass es mich gibt und dass alles stimmt, von dem ich berichte.*
Tekkie in Ausbildung
Ich bin zwar ein Nerd, aber das im positiven Sinne der Bezeichnung Computerfreak. Denn mir mangelt es nicht an sozialen Kontakten und ich bin kein Sonderling, der sein Leben hinter dem Computer verbringt. Informationstechnologie fasziniert mich einfach. Schon als Kind habe ich Windows-Rechner zerlegt und wieder zusammengebaut. Ich habe die Rechner von Freunden supportet, selbstverständlich remote, weil es Anfang der 2000er Jahre die coolste Art war, aus der Ferne bei Computerproblemen zu helfen.
Später habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht und nach der technischen Fachhochschulreife eine Lehre zum Fachinformatiker für Systemintegration abgeschlossen. Das war Anfang 2017. Ich bin Jahrgang 1992. Meine Lehre habe ich erst mit 21 angefangen, davor noch so ziemlich alles an Schulformen durchlaufen, was denkbar und machbar ist: vom Gymnasium auf die Berufsschule, dort den Hauptschul-, Realschulabschluss und schließlich die Fachhochschulreife der Fachrichtung Technik gemacht.
Meine Lehrfirma war ein kleines Maschinenbauunternehmen. Knapp 150 Mitarbeiter und inhabergeführt. Das hat mir echt Spaß gemacht, was vor allem am Unternehmen lag. Die Inhaber waren zwar schon älter, aber superloyal und mit Herz und Seele für ihre Firma und Mitarbeiter da. Ich fühlte mich menschlich gut aufgehoben und fachlich habe ich mein Hobbywissen professionalisiert. Als Azubi musste ich zwar manchmal auch die Kartons von neuen Rechnern aufräumen, aber hauptsächlich war ich in die Unternehmensprozesse integriert und schon ab dem ersten Lehrjahr im Support Level 1 und 2 eingesetzt.
Zur Differenzierung von Kompetenzen ist der Support in drei Stufen aufgeteilt: in den First-, Second- und Third-Level-Support. Im zuletzt genannten wird das höchste Fachwissen vorausgesetzt. In meinem Lehrjahr waren wir sechs IT-Azubis. Zwei wurden übernommen, vier mussten gehen, darunter ich. Was nicht an mir oder den drei anderen lag: Die Geschäftslage war damals nicht gut.
Die Berufsaussichten sind nicht so rosig, wie alle sagen
Danach war ich drei Monate bei einem IT-Dienstleister ebenfalls im Anwender-Support. Eine kleine Firma mit acht Mann. Ich fühlte mich ständig beobachtet und überwacht, musste jede Minute beim Kunden abrechnen. Der Job war stressig, undankbar und schlecht bezahlt. Deshalb habe ich mich auf Stellenanzeigen beworben und fand auch recht schnell einen neuen Job, allerdings in Form einer Arbeitnehmerüberlassung. Manche sagen Zeitarbeit oder Leiharbeit dazu.
Ich wurde von der Zeitarbeitsfirma bei einem Kunden in dessen IT-Anwender-Support wiederum in den Leveln 1 und 2 eingesetzt. Das war ein mittelständisches Produktionsunternehmen mit 1.400 Mitarbeitern. Fünf Monate später hat mich das Unternehmen unbefristet übernommen.
Nach meinen Erfahrungen sind die Berufsaussichten für IT-Fachkräfte selbst in wirtschaftlich starken Regionen nicht so rosig, wie überall verkündet wird. Bevor man einen festen Vertrag bekommt, muss man sich erst einmal beweisen, selbst wenn man eine abgeschlossene Berufsausbildung mit Berufserfahrung hat. Ein Jahr war ich in dem Unternehmen, dann bin ich dem Rat meiner Mutter gefolgt.
Auf dem Papier aufgestiegen, im Alltag abgefallen
Die Stelle in der Behörde habe ich überraschend schnell bekommen. Im öffentlichen Dienst werden deutschlandweit händeringend ITler gesucht. Unternehmen der privaten Wirtschaft jagen den Ämtern mit deutlich besseren Gehältern die Bewerber ab. Das Amt war eine kleine, ländliche Behörde. Jeder war schon in solchen Amtsstuben, in denen Ausweise verlängert werden, geheiratet wird oder Auszüge aus Flurkarten erstellt werden. Meine Aufgabe war wieder der Anwender-Support, zum ersten Mal von Level 1 bis 3, also vollumfänglich. Auf dem Papier war ich fachlich aufgestiegen. Im Alltag aber tief gefallen.
Die interne Organisation in der Behörde war das pure Chaos. Es gab kein Ticketsystem für den Support, fast alles lagerte in Word- und PDF-Dateien. Willkommen im Support der Steinzeit! Nach einiger Zeit habe ich mich getraut und dem Teamleiter vorgeschlagen, ein Ticketsystem einzuführen. Es sollte die Arbeitsverteilung und Organisation des Supports erleichtern, insbesondere deshalb, weil wir fünf im IT-Team auf fünf Standorte verteilt waren.
Ich schlug auch vor, eine zentrale Hotline einzuführen, um unsere Kollegen mit IT-Problemen betreuen zu können. Außerdem riet ich dazu, ein Dokumentenmanagementsystem zu nutzen, um Wissen aus unseren Einsätzen zentral aufzubauen und in Prozesse zu gliedern. Der erste Versuch einer Veränderung scheiterte, weil mein Teamleiter zwar ein großes IT-Verständnis hatte, aber an seiner Arbeitsweise und der des Teams nichts ändern wollte.
Der Mann ist über 50 und seit 25 Jahren im öffentlichen Dienst. Er war stets freundlich und immer erreichbar bei Problemen oder Fragen. Aber wenn es um Veränderungen in den Arbeitsabläufen ging, war er grundsätzlich skeptisch. Das Chaos war zum Alltag geworden und ohne Chaos hätte ihm wohl etwas Grundlegendes gefehlt.
Einige Wochen später fand ein Treffen mehrerer Dutzend ITler aller möglichen Behörden statt, organisiert von der Oberbehörde. Die schlug die Einführung eines Ticketsystems vor, aber es gab zu viele Gegenstimmen. Deshalb wurde das Thema ausgesetzt.
Ich habe kurz danach gekündigt, den Alptraum öffentlicher Dienst nach einem halben Jahr beendet. Der Job hat mich demotiviert, gelangweilt und an mir selbst zweifeln lassen. Seitdem hege ich eine gewisse Abneigung gegenüber Stellenangeboten aus dem öffentlichen Dienst.
Die Arbeit langziehen wie Kaugummi
In meiner Behörde wurde definitiv weniger gearbeitet als in der freien Wirtschaft. Wenn ein Kollege mit seinem Rechner Probleme hatte, war dessen Lösung nicht unbedingt dringend. Die Leute sind es gewohnt, ihre Zeit totzuschlagen. Ich hatte an mehreren Tagen der Woche nachmittags nichts mehr zu tun, weil ich nicht der Typ bin, der wenig Arbeit über den langen Tag so hinzieht, dass immer etwas zu tun ist.
Vor lauter Langeweile habe ich mal die Pappe von einer Lkw-Ladung neuer PCs entsorgt, bis mich ein Kollege darauf hingewiesen hat, dass dafür der Hausmeister zuständig ist. Sonst hat der ja nichts mehr zu tun. Um die Zeit nicht sinnlos totschlagen zu müssen, habe ich mich teilweise privat während der Arbeitszeit fortgebildet oder Fachartikel gelesen. Dazu wurden wir vom Vorgesetzten sogar aufgefordert. Vielleicht, weil es dann weniger offensichtlich ist, dass man nichts zu tun hat. So starrt man wenigstens in den Bildschirm. In eine Behörde passen Menschen, die sich keinen Druck machen lassen und die Arbeiten langziehen können wie Kaugummi.
Alles dauert länger
Weniger Arbeit - weniger Geld. Man könnte meinen, das sei gerecht. Ist es aber nicht. In großen und wichtigen Behörden, die meist in Zentren ihren Sitz haben, müssen die ITler schon ordentlich etwas leisten, das habe ich in der Zusammenarbeit mit übergeordneten Stellen gelernt. Verdienen tun sie aber genauso viel wie ein ITler in einem kleinen Amt in der Provinz. Behörden pauschalieren halt alles. Das ist ein großes Problem für die Beschäftigten dort.
Auch die Bürokratie. Im Amt dauert alles länger als in privaten Unternehmen. Die wenigsten Mitarbeiter haben Diensthandys, in den Ämtern gibt es kein WLAN und fast keine Behörde ist in den sozialen Netzwerken aktiv, etwa fürs Personal-Recruiting. Für junge Leute wie mich ist das aber die zweite Heimat. Dem Personalrat der Behörde habe ich mal vorgeschlagen, neue Mitarbeiter in Social Media zu suchen. Das wurde sofort abgelehnt.
Dort hat mich mein jetziger Arbeitgeber gefunden. Im März 2019 bin ich in die Stiftung eines bekannten IT-Pioniers Deutschlands gewechselt, auch im umfänglichen IT-Support. Eine Stiftung ist die ideale Mischung aus öffentlichem Dienst und freier Wirtschaft: Es ist kein Druck da, Geld verdienen zu müssen, aber genügend Geld für die IT. Diese Kombination sorgt für ein entspanntes Arbeiten und interessante Aufgaben, darin habe ich für mich die richtige berufliche Balance gefunden. Die Nähe zur Heimat war da gar nicht mehr so wichtig: Für diesen Job und meine Freundin bin ich 500 Kilometer von zu Hause weggezogen.
Individuelle Unterstützung zu Themen rund um Job & Karriere gibt Shifoo, der Service von Golem.de, in 1-zu-1-Video-Sessions für IT-Profis von IT-erfahrenen Coaches und Beratern.
* Der Name ist der Redaktion bekannt.
Veröffentlicht am 21. Oktober 2019, aktualisiert am 29.4.2024
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